Kalter Fels
Besserung oder gar Heilung. Hosp hatte ihn nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst noch ein paarmal auf einen Kaffee getroffen, sie hatten über ihre Plattensammlungen gesprochen und sich dann doch bald aus den Augen verloren. Nein, so ganz stimmte das nicht: Hosp hatte Schwarzenbacher ab und zu von Weitem gesehen, wenn er im Rollstuhl durch die Stadt fuhr. Aber er hatte sich dann nicht gezeigt, hatte schnell eine andere Richtung eingeschlagen, hatte nicht gewusst, was er mit ihm reden sollte.
Und jetzt saß er da, ihm gegenüber. Er konnte es nicht lassen. Hielt seine Spürnase in einen längst ausgeschöpften Topf und wollte aus den Überresten irgendetwas anderes herauslesen als das, was damals ermittelt worden war. Und Hosp musste sich eingestehen, dass Schwarzenbacher mit seinen Vermutungen nicht allzu oft danebengelegen war.
»Du willst also«, sagte er nachdenklich, »dass ich dir zu diesen Vorfällen die damals ermittelnden Beamten und Staatsanwälte nenne. Was soll dabei herauskommen? Sie werden sich wahrscheinlich auf den Schlips getreten fühlen, werden dir gar nichts erzählen und dich fortschicken. Glaub mir, Paul, du kannst da nicht viel gewinnen. Aber du kannst dich ziemlich lächerlich machen.«
»Das soll nicht deine Sorge sein«, sagte Schwarzenbacher. »Und was das Gewinnen angeht – denkst du, einer wie ich hat überhaupt noch viel zu gewinnen? Oder glaubst du nicht auch, dass es mir ziemlich egal sein kann, ob ich gewinne oder verliere? Und ob ich mich lächerlich mache? Ich komme mir in diesem Rollstuhl und in diesem Leben seit geraumer Zeit lächerlich vor.«
Hosp empfand die Situation als überaus unangenehm. Da war dieser Schwarzenbacher, den er als früheren Kollegen wertschätzte, mit dem ihn ein gemeinsames Interesse an Jazz verbunden hatte – Hosp tendierte mehr zum Oldtime-Jazz eines Coleman Hawkins, eines frühen Miles Davis; von Schwarzenbacher hingegen wusste er, dass er den Jazzrock der siebziger und achtziger Jahre bevorzugte, Weather Report, Hancock, den späteren Miles Davis –, und jetzt saß der Mann ihm im Rollstuhl gegenüber, und das machte Hosp Schwierigkeiten. Mit Behinderten hatte er immer schon Schwierigkeiten gehabt, hatte nie gewusst, ob er ihnen Hilfe anbieten durfte, beim Überqueren einer Straße zum Beispiel, oder ob sie dieses Angebot nicht gerade deshalb brüskiert ablehnen würden, weil sie sich dadurch diskriminiert fühlten.
Sollte er Schwarzenbacher jetzt helfen? Gegen einige Regeln verstoßen? Konnte er Nein sagen? Was musste der frühere Kollege auch wieder mit diesen alten Geschichten anfangen …
»Du weißt, dass ich dir die Namen nicht geben darf.« Hosp wusste in dem Moment, da er den Satz sprach, dass er damit bei dem alten Fuchs Schwarzenbacher nicht durchkommen würde.
»Du kannst nicht? Verstehe. Es ist ja nur so, dass es mir die Sache ein klein wenig erleichtern würde. Es ist für mich nicht ganz so einfach, die Zeitungsredaktionen abzuklappern, um die uralten Berichte herauszukramen oder die Journalisten zu befragen, die damals berichtet haben. Aber du kannst dir denken, ich würde auch das tun. Und ich würde auch ohne deine Hilfe in Erfahrung bringen, wer ermittelt hat.«
Hosp hatte den Blick auf seinen Schreibtisch gesenkt, wo unter anderem ein Blatt Papier lag, auf dem Schwarzenbacher die verschiedenen Begebenheiten zusammengeschrieben hatte, die er noch einmal der Nachforschung unterziehen wollte.
»Glaub mir, ich schaffe das auch ohne dich. Aber wenn du mir ein paar Namen sagen könntest …«
Schwarzenbacher wechselte mitten im Satz das Thema: »Sagt dir Milton Buckner etwas?«
»Buckner? Wie sollte mir Buckner nichts sagen. Der war doch eine Klasse für sich. Aber lenk jetzt nicht ab – was hat der Großmeister der Hammondorgel mit dieser Sache hier zu tun?«
»Ich mache dir einen Vorschlag«, fuhr Schwarzenbacher fort. »Du besuchst mich in den nächsten Tagen mal. Ich denke, du weißt, wo ich wohne. Ich habe eine Scheibe von 1960 – Buckner live in Chicago. Die könnten wir uns mal anhören, ein Glas Bier dazu trinken. Was meinst du?«
Hosp wusste einen Augenblick lang nicht so recht, woran er war. Doch Schwarzenbacher lieferte die Aufklärung breit grinsend hinterher.
»Mir ist die Platte nicht so wichtig. Ist eine unter vielen in meiner Sammlung. Aber wenn sie dir gefällt … ich meine, von mir aus kannst du sie haben …«
* * *
Der Atem gefror ihm im Bart. Die Luft war eisig, aber Ferdinand war vor
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