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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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verschiedenen Fälle noch einmal aufdröseln und aus anderer Perspektive betrachten. Was mir wirklich Kopfzerbrechen bereitet, ist der große Zeitrahmen. Da war 1974 der Fall Mannhardt, zehn Jahre später der Tote im Karwendel, Nemecz. Allein schon, dass der Abstand zwischen beiden Todesfällen zehn Jahre beträgt, verunsichert mich – ein langer zeitlicher Abstand für jemanden, den man als Serientäter verdächtigen möchte.«
    Kröninger nickte zustimmend.
    »Dann sind weitere dreizehn Jahre vergangen. 1997 passt das Schema wieder. Diesmal im Stubai. Gar nicht weit von hier. Und noch einmal fünf Jahre bis zu einem möglichen Mord im Rofangebirge, irgendwo in der Nähe des Achensees. Das war also 2002. Und noch ein Fall: 2003 im Kaisergebirge. Ich finde kein zeitliches Verhältnis. Nur ein geographisches: Alles ist in Tirol passiert. So, als hätte ein verrückter Mörder eine Tournee durch die verschiedenen Gebirgsgruppen gemacht. Nur dass er sich dabei viel, sehr viel Zeit gelassen hat.«
    Kröninger entspannte sich zusehends. Das Gespräch, das ihn am Anfang so belastet hatte, begann ihn offenbar doch zu interessieren.
    »Da gebe ich Ihnen recht«, sagte er. »Den Daten fehlt ein innerer Zusammenhang. Sie haben sich ja schon länger damit beschäftigt, für mich ist das alles ganz neu. Was aber auch einen Vorteil haben kann. Und mit der Naivität dieses Blicks sage ich Ihnen: Ihre fünf Fälle haben keinen allen gemeinsamen Täter. Wenn es Morde waren, gibt es mindestens zwei Täter … meine Meinung … nur ein Gefühl … Sie wissen ja selbst, in unseren Berufen zählen nur Fakten, aber bei der Erbringung der Fakten müssen wir uns oft vom Gefühl leiten lassen … wo war ich stehen geblieben? … Ach ja, mindestens zwei … aber ich bin mir nicht sicher, ob nicht auch wirklich Unfälle darunter sind, wo alles ohne bösen Übeltäter passiert ist.«
    »Es wird mühsam werden, da noch mal auf Grund zu kommen«, räumte Schwarzenbacher ein. »Ich werde mit einer ganzen Reihe von Leuten reden müssen, die damals ermittelt haben. Aber auch mit den Einsatzleitern der Bergrettung oder den damals Zuständigen in den jeweils örtlichen Gendarmerien.«
    Kröninger erhob sich und machte damit klar, dass er das Gespräch beenden wollte. Schwarzenbacher rollte nach hinten vom Tisch weg. Er verstand.
    »Ich könnte, wenn Sie nichts dagegen haben, mich einmal umhören und eventuell mit Leuten in Verbindung setzen, die mit diesen Fällen zu tun hatten«, sagte Kröninger. »Wobei ich anders vorgehen würde als Sie. Der am wenigsten lang zurückliegende Fall – Sie sagten, im Kaisergebirge wäre der Mann ums Leben gekommen – erscheint mir aufgrund der zeitlichen Nähe noch am vielversprechendsten. Sie haben sicher eine Karte, damit ich weiß, wie ich Sie erreichen kann …«
     
    Schwarzenbacher rollte durch Igls zurück zur Umkehrschleife der Trambahn, mit der er auch heraufgekommen war. Es war ein grauer Spätnachmittag; die Bergisel-Schanze leuchtete neonsilbern von innen heraus, und Schwarzenbachers Stimmung war so trüb wie der ausklingende Tag.
    Die Steinschlag-Morde hatten ihm, auch wenn er das als überaus bizarr empfand, so eine Art neues Leben eingehaucht. Er fühlte sich … ja, wie fühlte er sich? Gefordert, ja, das war das richtige Wort: Er fühlte sich gefordert. Seine Tage begannen, wieder mehr Sinn zu bekommen. Sogar das alte Jagdfieber war wieder erwacht.
    Jetzt aber kehrte die Depression zurück. Er fühlte sich hier, im noblen Igls, das hoch über Innsbruck lag, plötzlich vollkommen allein. Die Verzweiflung war wieder da. Er wollte fort von hier, aber er wollte auch nicht hinunter in die Stadt.
    Ich möchte unsichtbar sein, dachte er. Und ihm fielen die Melodie und ein paar Zeilen eines André-Heller-Liedes ein: »I mechat unsichtbar sein und wia a Amsel hinter dir fliagn …«
    Das Lied erinnerte ihn so tieftraurig an die Zeit, als er noch gesund gewesen war, als es Helene noch in seinem Leben gegeben hatte. Ein Stück die Straße runter sah er das leuchtende Schild einer Biermarke. Dorthin lenkte er seinen Rollstuhl. Minuten später bestellte er ein Bier und einen »Willi« – einen eisgekühlten Williamsbirn-Schnaps. Und dann noch ein Bier und noch einen »Willi«. Und dann …
    ***
     
    Es war bereits einundzwanzig Uhr vorbei, im ORF lief eine Universum-Sendung über Gletscher, da spielte das Handy von Dr. Reuss die Doktor-Schiwago-Melodie. Er schaltete den Fernseher ab und nahm das

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