Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
verblasste gegen sie einfach. Ein schweigsamer, mit den Jahren unansehnlich gewordener Mann. Wenn Kay ihn auf irgendwelchen Dorffesten zufrieden mit seinen Kumpels irgendwo am Tresen hatte stehen sehen, schweigend oder in Gespräche über Rinderzucht und Düngemittel vertieft, hatte er ihn immer ein wenig beneidet. Es war die scheinbare Unkompliziertheit dieser Männerfreundschaften, die er vermisste. In seiner Welt wurden aus Kollegen schnell Rivalen und die Zeit für vertrautes miteinander Schweigen fehlte ebenso.
Nun waren sie also tot, alle drei Benneckes. Erschossen auf dem Hofplatz vor ihrem Haus.
Kay konnte es kaum glauben. Sein Zuhause und das ganze Dorf waren für ihn die Zuflucht vor der bösen Welt, in der er tagtäglich ums Überleben kämpfte. Wo blieb denn das alles, wenn Verbrecher schon den Nachbarn auflauerten? Wo war man denn überhaupt noch sicher?
Kay gestattete sich nicht, den Gedanken weiterzuverfolgen. Wenn er merkte, dass ihn etwas belastete, pflegte er »STOP« zu denken und sich mit angenehmen Gedanken abzulenken. Diese Technik hatte er in einem Managerseminar gelernt, und er wendete sie nach Bedarf immer dann an, wenn es unangenehm wurde.
Als er nach Grevendorf einbog, hatte schon eine verfrühte Abenddämmerung eingesetzt. Wenn er es recht bedachte, war es an diesem Tag gar nicht richtig hell geworden. Er wäre gern erst nach Hause gefahren und hätte sich geduscht und umgezogen,aber er war sowieso schon zu spät dran. Die Kripo erwartete ihn bereits im ›Hotel am See‹.
In Grevendorf angekommen, stellte er seinen Wagen auf dem kleinen Hotelparkplatz ab. Er atmete einmal tief die kühle Luft ein und wieder aus, dann betrat er das Foyer. Im Eingangsbereich stieß er fast mit einer jungen Frau zusammen, die das Hotel verlassen wollte. Sie war groß und schlank und hatte blondes, zu einem Zopf zusammengebundenes Haar. Unter ihrem Arm klemmte eine schwarze Aktenmappe. Sie betrachtete ihn nur kurz, aber ihr Blick war scharf und prüfend.
»Unsympathisch«, war Kays erste Einschätzung. Attraktivität hin oder her, keine Frau sollte so herausfordernd und kühl schauen, wenn sie einem Mann zum ersten Mal begegnete.
Pia Korittki verließ unter den Blicken des Hotelmanagers und des Mädchens an der Rezeption das Hotel. Im Windfang wurde sie fast von einem ungehalten aussehenden Mann angerempelt. Sie musterte ihn kurz, wie es ihre Gewohnheit war, ihre Gedanken waren jedoch schon bei der Befragung von Holger Tramm. Leute, die Leichen entdeckten, entwickelten sich manchmal zu höchst interessanten Zeugen, manchmal stellten sie sich auch als Täter heraus.
Die Befragung des Abdeckers erwies sich als reine Routineangelegenheit. Holger Tramm war ein zurückhaltender Mann, dem die Ereignisse des Morgens scheinbar schwer zugesetzt hatten. Er konnte ihr nur stockend und schluckend berichten, wie er frühmorgens zum ›Hof Grund‹ gefahren war und sich über die dunklen Schatten auf dem Hofplatz gewundert hatte. Zuerst hatte er vermutet, es liege Gerümpel herum, bis er ausgestiegenwar und gesehen hatte, dass er es mit drei Toten zu tun hatte. Wieder und wieder beklagte er sich, dass er ihren Arm überfahren hätte, Ruth Benneckes Arm!
Entweder war er ein hervorragender Schauspieler oder tatsächlich der traumatisierte Zeuge eines grausamen Verbrechens. Pia neigte eher Letzterem zu, vermerkte aber die Möglichkeit von weiteren Befragungen.
Auf der Rückfahrt erhielt sie über ihr Mobiltelefon einen Anruf von Marten Unruh. Er sagte, sie solle direkt zum ›Grund‹ kommen. Die Kriminaltechniker vom K6 wären mit ihrer Arbeit vorerst fertig und der Chef der Truppe hätte schon erste Ergebnisse mit ihm besprochen.
Inzwischen war es bereits dunkel geworden. Als Pia in den Grevendorfer Redder abbog, umgab sie, bis auf das Licht ihrer Autoscheinwerfer, totale Finsternis. Die Bäume und Sträucher, die den Weg begrenzten, waren winterlich kahl. Die Zweige und Baumstämme sahen grau aus, wenn das Scheinwerferlicht sie streifte. Pia hatte das Gefühl, durch einen Tunnel aus totem Geäst zu fahren, die Asphaltstreifen vor sich wie einen Strang Schienen, der ins Nichts führte. Ein offen stehendes Gatter und ein rostiger Briefkasten kündigten schließlich den ›Hof Grund‹ an.
Pia stellte den Passat wieder unter die Kastanie und ging zum Wohnhaus hinüber, dessen Tür noch mit dem rotweißen Band der Spurensicherung versperrt war.
Sie klopfte gegen das Holz der Tür, die nur angelehnt war. Im
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