Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
wach gehalten. Nun fühlten sich ihre Knochen bleischwer an und die Augenlider fielen gegen ihren Willen zu. Sie schleppte sich noch bis zu dem schwarzen Ledersofa, streifte ihre Stiefel ab und rollte sich auf der Sitzfläche zusammen. Sie wollte nur einen Augenblick die Augen schließen. Bevor sie richtig lag, war sie fest eingeschlafen.
Sie wurde erst wieder wach, als ihr eiskalt war. Ihre Versuche, sich im Halbschlaf mit einer herumliegenden Tageszeitung zuzudecken, waren erfolglos geblieben. Sie warf einen Blick auf die Uhr im Videorekorder und fuhr erschreckt hoch. Die rote Digitalanzeige stand auf 4.31 Uhr. Ihr wurde klar, dass sie richtig tief eingeschlafen war. Zusammengerollt wie ein Embryo hatte sie gelegen, in einem Raum, der höchstens 15 Grad warm war.
Beim Aufstehen protestierte ihr Rücken und sie konnte denKopf kaum drehen. Außerdem hätte sie längst wieder in Grevendorf sein sollen. Sie musste schnellstens zurückkehren, möglichst bevor ihr Kollege von ihrer blödsinnigen Fahrt erfuhr.
Also vergewisserte sie sich noch kurz, dass in der Wohnung alles beim Alten war, zog die Wohnungstür hinter sich zu und drehte den Schlüssel zweimal um. Dann machte sie sich auf den Rückweg, von dem sie jetzt schon wusste, dass er schauderhaft werden würde.
23. KAPITEL
A ls sie um sechs Uhr morgens auf den angrenzenden Parkplatz fuhr, lag das Hotel noch dunkel und unbelebt da. Pia schleppte sich mit schweren Schritten ihrem Bett entgegen, in dem sie sich noch eine Stunde ausruhen wollte, bevor sie sich wieder mit ihrer Arbeit befasste.
In der Hotelhalle am Fuße der Treppe wäre sie beinahe mit Marten Unruh zusammengestoßen. Er hatte es vorgezogen, im Dunkeln seinen Weg nach unten zu suchen. Pia kam vor Müdigkeit und Schreck ein kleiner Aufschrei über die Lippen, dann fluchten sie beide und musterten sich gegenseitig. Martens Gesicht sah so aus, als wäre er unsanft geweckt worden.
»Gut, dass du da bist«, sagte er, ohne weiter auf die Richtung einzugehen, aus der sie unerwartet kam, »wir müssen sofort los, die Dinge spitzen sich zu ...«
»Was ist los, warum bist du so früh schon auf? Ich wollte gerade noch einmal für eine Stunde ins Bett«, meinte Pia, die nicht gerade auf der Höhe ihrer Aufnahmefähigkeit war.
»Das musst du dir für später aufsparen, es hat wieder einen Mord gegeben«, entgegnete er knapp.
»Oh, Gott, habt ihr Agnes gefunden? Ist sie tot?«
»Nein, wir fahren zu den Suhrs, komm schon ...«
»Moment mal«, sie musste hinter ihm hertraben, um ihn einzuholen, »was ist passiert? Wenn es nicht Agnes ist, wer dann?«
»Es ist Hanno Suhr. Sein Vater hat ihn eben gefunden und die örtliche Polizei verständigt. Weber hat mich sofort angerufen. Nun kommen die Kollegen von der Spurensicherung erst mal dort zum Einsatz, bevor sie zu deinen Gädekes fahren.«
Pia musste die Nachricht, dass Hanno Suhr tot war, erst einmal verarbeiten. Sie registrierte die Provokation im zweiten Satzteil nur am Rande. Was war nur los in diesem verschlafenen Nest? Wer von den Bewohnern hatte das Morden zu seiner Gewohnheit gemacht?
Sie stiegen in den Wagen, der noch von der Fahrt aus Hamburg warm war, und schossen die schmale Straße hinunter, die Grevendorf mit dem Hof der Suhrs verband. Die örtliche Polizei war schon da.
Das Bild, das sich ihnen dort bot, ähnelte der Szenerie neulich auf dem ›Grund‹. Ein ihnen unbekannter, uniformierter Beamter führte sie in den Schweinestall. Hier hatte Pia vor ein paar Tagen Petra angetroffen. Es kam ihr so vor, als wäre dieses Gespräch eine Ewigkeit her.
Drinnen herrschte wieder dieses ohrenbetäubende Quieken. Die großen Wärmelampen tauchten den Raum in unwirkliches rotes Licht. Es wirkte fast ein wenig frivol. Hanno Suhr lag reglos in der Stallgasse, Arme und Beine weit von sich gestreckt. Er trug Arbeitskleidung: einen grünen Overall und olivfarbene Gummistiefel. Eine Taschenlampe lag neben seiner rechten Hand auf dem Betonboden, das Glas war gesplittert. Er lag auf dem Bauch. Wo sein Hinterkopf hätte sein sollen, klaffte eine offene Wunde, die aus blutiger Gehirnmasse, Haut, Haar und Knochensplittern bestand.
Dass Hanno Suhr tot war, daran gab es keinen Zweifel. Er musste schon ein paar Stunden dort liegen, Schwärme von Fliegen surrten um ihn herum. Sein Kopf war halb zur Seite gedreht, sein Gesicht zeigte den Ausdruck totaler Überraschung.
Pia konnte den Blick nicht abwenden. Die brutal zugerichtete Leiche auf dem feuchten Betonboden,
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