Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
Ihr Blick war auf einen Punkt weit außerhalb des Raumes gerichtet.
Als Pia sich zu ihr setzte, umfasste Petra den Becher mit beiden Händen und schob ihn auf der Tischplatte hin und her, was ein nervenaufreibendes Schleifgeräusch verursachte. Pia hielt ihre Hände fest. Der Blick, den ihr Petra Suhr daraufhin zuwarf, war voller Hass und Verzweiflung. Für einen Moment war Pia aus dem Konzept gebracht. Wenn sie jetzt die richtigenFragen stellte, dann könnte Petra Suhr ihr vielleicht den entscheidenden Hinweis geben. »Die Waffe des Kriminalbeamten ist das Wort«, hatte es in ihrer Ausbildung immer wieder geheißen. Gab es Worte, die zu dieser verstörten Frau durchdringen konnten?
»Von Ihrer Aussage hängt jetzt viel ab«, begann Pia das Gespräch, »je schneller wir sind, desto größer ist die Chance, den Mörder Ihres Mannes wirklich zu fassen.«
»Ersparen Sie mir das! Reden macht Hanno auch nicht wieder lebendig. Reden hat doch noch nie etwas gebracht ... Das war kein normaler Mensch, der das getan hat. Das war ein perverses Monstrum. Außerdem weiß ich nichts und will alleine sein ...«
»Sie werden später noch lange genug allein sein. Aber wollen Sie sich dann den Vorwurf machen, nicht alles getan zu haben, um Hannos Mörder zu finden?«
»Sie haben nicht verstanden! Lassen Sie mich in Ruhe. Ihr Bullen habt keine Ahnung!«
Pia unterdrückte den starken Impuls, jetzt tatsächlich zu gehen, sondern versuchte es auf andere Weise noch einmal.
»Ich habe Sie für einen vernünftigen Menschen gehalten. Ich habe Sie fast ein wenig bewundert für Ihren Mut. Spielen Sie hier jetzt nicht die Mimose, sondern tun Sie etwas! Reden Sie mit mir. Ich will dieses Schwein drankriegen, und Sie wollen das auch.«
Petra begann, mit geschlossenen Augen ihren Kopf über die Schulter nach hinten zu rollen und wieder zurück. Es sah so aus, als wolle sie ihre verspannten Nackenmuskeln lockern.
Die Haltung der Polizeibeamtin im Hintergrund wurde wachsam. Sie machte sich scheinbar darauf gefasst, zuzupacken, wenn es nötig werden würde.
Pia wartete ab.
Nach einer Weile öffnete Petra die Augen. Ihr Kopf lag im Nacken, ihr Blick war an die Zimmerdecke gerichtet:
»Na gut. Fragen Sie, aber schnell, bevor ich es mir anders überlege.«
Pia bemerkte, dass sie vor Anspannung die Luft angehalten hatte. Langsam atmete sie wieder aus.
»Wann haben Sie Ihren Mann zum letzten Mal lebend gesehen? Beschreiben Sie, wie der gestrige Abend verlaufen ist.«
»Es war alles wie immer. Wir haben gegen halb acht zusammen Abendbrot gegessen und danach Fernsehen geguckt. Es gab ... ich weiß nicht mehr, was es gab, irgendetwas. Um zehn war ich hundemüde und bin ins Bett gegangen. Da war Hanno noch im Wohnzimmer. Danach ...«, sie schluchzte auf, »danach habe ich erst wieder etwas von ihm gehört, als August mich aufweckte und sagte, es sei etwas Furchtbares passiert. Ich dachte erst, es brennt oder alle Schweine wären tot umgefallen. Außerdem merkte ich, dass Hanno noch gar nicht im Bett gewesen war. Ich zog mir schnell was über und rannte in den Stall hinüber. Da sah ich ihn dann auf dem Boden liegen und mit dieser furchtbaren Wunde am Kopf ...«
Sie stützte den Kopf in die Hände und brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen.
»Ist irgendetwas Besonderes vorgefallen, gestern oder in den Tagen davor? Anrufe, Briefe, Besuche? Etwas, das ungewöhnlich war?«
Petra nahm sich ein paar Minuten Zeit, um zu überlegen. Pia und die Polizeibeamtin im Hintergrund warteten gespannt. In der Stille hörte Pia das Ticken der Küchenuhr unnatürlich laut.
»Nein, ich kann mich an nichts erinnern, jedenfalls nicht spontan. In der Post war das Übliche: Rechnungen, Werbung, eine Ansichtskarte aus Florida, die Zeitung. Unser Anteil liegt zum Teil noch ungeöffnet im Büro, sie können gerne nachsehen.Es war auch niemand hier, der nicht öfter hereinschaut, außer Ihnen und Ihrem Kollegen natürlich. August hat sich ziemlich darüber aufgeregt.«
»Wer schaut denn öfter herein und war auch in den letzten vier Tagen hier?«
»Sie meinen, seit den Morden an den Benneckes? Der Tierarzt war da, eine reine Routineangelegenheit. Dann kam Verena am Dienstag auf einen Kaffee herein, wohl um mit mir den neuesten Klatsch zu besprechen«, sagte sie und errötete etwas. Mit Klatsch waren wohl die Morde im ›Grund‹ gemeint.
»Kommt Verena öfter mal vorbei?«, hakte Pia nach.
»Na, sonst hätte ich sie ja als besonderes Vorkommnis erwähnt«,
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