Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
ihrem Mann gegenüber nicht ausgesprochen. Dieses Thema war zurzeit tabu, weil es nur mit Streit oder Kummer verbunden war. Wenn sie allerdings weiterhin alles ausklammerten, was sie emotional bewegte, so blieb am Ende nichts, worüber es sich zu reden lohnte. Kaum dass sie über die Ereignisse im Ort miteinander sprachen: den Streit im Ortsrat über die neuen Laternen für Grevendorf, das neue Pferd im Stall von Rothenweide oder den Mord an ihren Nachbarn.
Es ist verdammt still geworden bei uns im Haus, dachte Petra. Sie stützte den Kopf in die Hände, die brennenden Augen in den Handtellern geborgen, um sich am Weinen zu hindern. Fast so still, wie es jetzt drüben im ›Grund‹ sein muss ...
Sie schauderte, dachte an die ehemals bewohnten und nun leeren, kalten Räume. Ob es den Benneckes nun besser ging als zu Lebzeiten? All ihrer Probleme enthoben, sorgenfrei? Sie sah Malte Bennecke vor sich, wie sie ihn unzählige Male gesehen hatte, wenn er mit seinem Motorrad auf den Hof gebraust kam. Der Kies flog unter seinen Rädern auf, wenn er bremste. Er hatte seinen Helm abgenommen und sich das verschwitzte dunkle Haar zurückgestrichen. Am Anfang ihrer Ehe und auch davor, waren sie ab und zu zusammen Motorrad gefahren. Einfach ins Blaue, um ein Eis zu essen oder etwas zu trinken. Malte war stets gut drauf gewesen, hatte irgendein Mädchen im Schlepptau gehabt und genug Geld in der Tasche. Selbst als sie in Hanno frisch verliebt gewesen war, hatte sie Maltes Anziehungskraft gespürt. Er hatte sie einfach in alle Richtungen verstrahlt wie knisterndes Lagerfeuer seine Wärme.Er wollte bestimmt nicht tot sein, in einer Holzkiste auf dem Grevendorfer Friedhof vor sich hin modern.
Wann wohl die Beerdigung stattfinden würde?
Sie hätte gern gewusst, ob Hanno die gleichen Gedanken hatte wie sie, ob er sich ähnlich fühlte, wenn er an Maltes Tod dachte. Einige von ihren Bekannten waren jung gestorben, weil sie mit dem Motorrad verunglückt waren, aber ein Mord war etwas anderes. Doch Hanno hatte sich in sich zurückgezogen, besonders in den letzten Tagen.
Hannos Ruf nach einem Handtuch riss sie aus ihren Gedanken. Er hatte wohl mal wieder sein Duschhandtuch am anderen Ende des Badezimmers vergessen und keine Lust, nackt und nass die Wärme der Duschkabine zu verlassen. Petra erhob sich, um ihm diesen kleinen Liebesdienst zu erweisen. Wer weiß, vielleicht ergab sich ja doch mehr daraus ...
Der Weg zum Ferienhaus der Gädekes war morastig und unwegsam. Von beiden Seiten bedrängten Büsche und Bäume das bloßliegende Stück Erde, als forderte die Natur es von den Menschen zurück. Herabhängende Zweige, die Pia in der Dunkelheit nicht sehen konnte, streiften ihr Gesicht. Sie stolperte über Baumwurzeln und Steine. Hinter jeder Biegung erwartete sie, die Lichtung zu sehen und das Haus, in dessen Fensterscheiben sich das Mondlicht spiegeln würde. Durch die unmittelbare Nähe des Sees war die Luft feucht und noch kühler als an der Straße, wo sie ihr Auto hatte stehen lassen. Als Pia etwas Kleines, Leichtes über den Fuß huschte, machte ihr Herz vor Schreck einen kleinen Aussetzer.
Sie hatte schon Zweifel, ob sie überhaupt auf dem richtigen Weg war, da tauchte es hinter einer scharfen Biegung endlich auf: ein kleines Holzhaus, dessen Giebelfront ihr zugewandtlag. Der Architekt hatte scheinbar versucht, das Haus harmonisch in die Landschaft einzufügen und altmodisch wirken zu lassen. Es sah ein bisschen nach »Hänsel und Gretel« aus. Neben der Haustür sprang eine am Vordach befestigte Laterne an, wahrscheinlich über einen Bewegungsmelder gesteuert. Die Fenster waren alle dunkel, kein Rauch stieg aus dem Schornstein auf, kein Geräusch drang nach draußen.
Pia wusste nicht genau, was sie hier wollte. Sie wurde von diesem Ort angezogen wie durch ein unsichtbares Band. Sie durfte es auf gar keinen Fall betreten. Aber es barg ein Geheimnis, dem sie so schnell wie möglich auf die Spur kommen musste. Pia merkte, dass sie ging und ging, aber dem Haus nicht näher kam. Hinter ihr, im Dickicht, knackte und raschelte es. Sie wollte vorwärts laufen, aber es gelang ihr nicht. Ihre Beine fühlten sich an, als versuchte sie, in einem Sumpf vorwärts zu kommen.
Pia wurde klar, dass sie einen furchtbaren Fehler gemacht hatte, nachts allein hierher zu kommen. Sie zwang sich, normal zu gehen, und näherte sich dem Haus schließlich doch.
Die Geräusche hinter ihr waren verstummt. Pia musste sich auf Zehenspitzen stellen,
Weitere Kostenlose Bücher