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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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erlangen.
    »Laut Dr. Wasserstein wird es vor allem in Kuba praktiziert. Allenfalls noch in Miami.«
    »Wahrscheinlich nehmen es die Immigranten überallhin mit. Weißt du, was ich nicht kapiere?«
    »Was?«
    »Da haben wir es nun mit einem Kerl zu tun, der Finger und Zehen abhackt. Köpfe abschneidet. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass man sich nicht von einem Tag auf den anderen da reinstürzt. Man arbeitet sich langsam hoch. Du fängst mit Ziegen und Hühnern oder was weiß ich an, und irgendwann versuchst du es zum ersten Mal mit einem Menschen, und vermutlich geht es dir gründlich daneben, und du versuchst es wieder, und irgendwann wird es dir zur zweiten Natur.«
    »Du hast völlig recht. Dieser Kerl, der ist bestimmt keinunbeschriebenes Blatt. Aber bis jetzt haben wir weder auf Provinz- noch auf Landesebene etwas ausgegraben, das dem Wombat-Mord ähnelt.«
    »Richtig«, sagte Cardinal. »Aber falls der Kerl aus Kuba oder Miami kommt, haben die vielleicht in den Staaten was über ihn.«
    »Wir haben keinen Zugang zu deren Karteien.«
    »Ich hab vorletztes Jahr beim Matlock-Fall ein paar Kontakte in New York geknüpft. Ich denke, ich ruf da mal an.«
    »Oder ich versuch’s bei Musgrave. Die Mounties tauschen andauernd Informationen mit den Staaten aus.«
    »Wir machen beides. Und sehen einfach, wer zuerst fündig wird. Aber jetzt lass uns mal zu Terri fahren.«
     
    Terri Tait hatte im Frauenhaus fertig gefrühstückt – eine Schale Haferbrei, der an Tapetenkleister erinnerte. Am anderen Ende des Flurs stritten sich zwei Frauen wegen des Radioprogramms, und auf dem zweiten Stock heulte eine junge Mutter, der das Jugendamt die Kinder weggenommen hatte; sie heulte schon seit gestern Nachmittag.
    Terri wollte sich nicht zu den anderen Frauen ins Fernsehzimmer setzen. Sie sahen ständig die idiotischsten Talkshows. Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und setzte sich ans Fenster, wo sie den Skizzenblock aufschlug, den Dr. Paley ihr gegeben hatte. Sie versuchte zu zeichnen, doch sie war zu angespannt und konnte daher den Stift nicht richtig führen.
    Terri hielt es nicht länger im Haus; zur Hölle mit der Warterei auf die Bullen. Sie warf den Block beiseite. Sie wollte zwanzig Minuten oder so an die frische Luft. Wenn sie kamen, während sie draußen war, geschah es ihnen recht, wenn sie ein bisschen auf sie warten mussten, zur Strafe dafür, sie hier einzusperren.
    Der Straßenplan wurde ihr allmählich wieder vertrauter,auch wenn sie sich nur an wenige Namen erinnern konnte: Main, Macintosh, Oak Street – das war’s auch schon. Sie folgte dem Geruch nach Wasser bis ans Ufer. Dort schlug sie den gepflasterten Pfad ein, der so dicht am See entlangführte, dass die Wellen einen Meter tiefer laut auf die Steine klatschten.
    Die ersten Vorboten des Sommers waren noch einmal dem Frühling gewichen. Auf das jenseitige Ufer senkte sich eine riesige dunkle Wolke von der Form eines Nudelholzes, und über den Wellen zog die schiefergraue Kreuzschraffur einer Regenwand herüber. Noch nie hatte sie so viele Schaumkronen gesehen. Sie hielt sich eine Hand an den Hinterkopf, um die Kapuze aufzubehalten, doch ohne Erfolg. Der Regen, der ihr ins Gesicht peitschte, war kalt. Über ihrem Kopf kreischte laut eine Möwe.
    Terri hätte nicht übel Lust gehabt, nach Vancouver zurückzukehren und zu hoffen, dass der Kerl, der auf sie geschossen hatte, sie nie wieder sehen würde. Doch damit würde sie ihren Bruder seiner Sucht und diesem Irren überlassen. Sie hatte geglaubt, ihn finden zu können, indem sie Rauschgiftsüchtige nach ihm fragte; jetzt blieben nur die Cops. Fragte sich allerdings, wie sie sich der Polizisten bedienen konnte, um Kevin zu retten, ohne ihn wegen Drogenhandels hinter Gitter zu bringen. Nach allem, was ihr jetzt über Red Bear wieder eingefallen war, konnte er sogar für weit Schlimmeres ins Kittchen wandern.
    In der Nacht hatte es heftig gedonnert, und sie hatte mit Herzklopfen senkrecht im Bett gesessen, während der Schweiß ihr nur so herunterlief. In ihrem Traum war es helllichter Tag gewesen, die Sonne hatte geblendet, der Schweiß ihr in den Augen gebrannt. Und in den Ohren dieses nervtötende Surren.
    Es war dieses Geräusch, das sie hinter den weißen Hütten in den Wald führte. Nahebei das Krachen der Wellen (ja, daskonnte bedeuten, dass es dieser See hier war; nicht viele davon hatten eine solche Brandung), und weiter entfernt dieses konstante Gesurre. Immer wieder schaute sie sich um; sie

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