Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
Vom Netzwerk:
Leiche.
    »Ich weiß ja nicht, wie du das siehst«, sagte sie. »Aber ich für meinen Teil glaube nicht, dass das die Mücken waren.«

8
     
    K evin Tait nahm die Fliegenklatsche und schlich sich lautlos ans Fenster. Die Mücke, die gerade ein Stück aus seinem Knöchel genascht hatte, versuchte wiederholt, durch die Scheibe zu fliegen. Kevin ließ einen Schlag auf den Übeltäter niedergehen, der bekam, was er verdiente. Er schob die Klatsche wie einen Spachtel unter das tote Insekt und trug es zur Tür seiner Hütte. Er öffnete die Tür nur kurz, um die tote Mücke hinauszuwerfen, ohne ihre Vettern und Kusinen zum Kevin-Tait-Smörgåsbord einzuladen.
    Mit einem Kleenex-Tuch wischte er den Schmierfleck von der Scheibe. Auf der anderen Seite des Feldes kam Red Bear gerade in seinem schwarzen BMW angefahren. So viel musste man Red Bear ja lassen, der Bursche wusste zu leben. Die ganzen eins achtzig in Weiß gekleidet, das glänzende schwarze Haar bis zu den Schultern, dazu die Wayfarers-Sonnenbrille, dunkel wie die Nacht. Er stieg aus seinem Wagen, und mit ihm kamen zwei süße Puppen zum Vorschein, die eine blond, die andere brünett und beide mit einer Figur, die von Stunden im Fitness-Center kündete.
    Die drei liefen über das ehemalige Baseballfeld zu Red Bears Blockhütte hinüber – bei weitem der schönsten im alten, verrottenden Lager. Kevin sah ihnen von seinem Fenster aus nach, beobachtete, wie der große Indianer – gleich Elvis in seinen letzten Jahren – je einen Arm um die beiden Frauen schlang. Red Bear trug so viele Perlen und Kettchen, dass es beim Laufen klirrte. Irgendwie schaffte er es, das Vulgäre mit seinem guten Aussehen und einer Aura von Macht zu kompensieren.
    Kevin Tait war nicht der Mann, der an persönliche Macht oder an Charisma glaubte, vielleicht weil ihm klar war, dass er weder das eine noch das andere besaß. Sicher, ihm war bewusst, dass er jugendlichen Charme versprühen konnte. Frauen hatten schon immer eine Schwäche für mittellose Poeten gehabt, und die erotische Ausstrahlung der Melancholie ist wohlbekannt.
    Kevin ließ sich aufs Bett plumpsen und schlug sein Notizbuch auf. Er zog den schwarzen Füllfederhalter heraus, den ihm Terri zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Ihm war danach, ein Gedicht über Lust und Elend zu schreiben. Doch die Feder rührte sich nicht.
    Er blätterte in dem Büchlein, überflog seine Notizen der letzten Monate – Betrachtungen, Überlegungen, der eine oder andere Vers.
     
    Ihre erste Liebe gehörte einem Kapitän
,
    Für ihn wäre sie gar zu gerne
    Die Muse der Navigation
,
    Der Rauch von Opium
.
     
    Nur ein Fragment und außerdem zu nah an Leonard Cohen.
     
    Ein Magier, der Weisheit in Wein verwandelt …
     
    Gott weiß, wie es von da weitergehen sollte. Es schien ihm eine Ewigkeit her, seit er etwas Vernünftiges zu Ende gebracht hatte. Im März hatte er dieses Gedicht verfasst, es aber nicht der Mühe für wert befunden, es an die kleinen Zeitschriften zu schicken; es fehlte ihm noch der letzte Schliff. Die vergangenen Monate waren eine Art Schonzeit gewesen, seine Kräfte hatten brachgelegen, während er auf die zündende Idee gewartet hatte; er würde es merken, wenn sie ihm kam. Siewürde wie eine Leuchtkugel in den Himmel schießen und wie ein Feuerrad im pechschwarzen Äther seiner Seele Funken sprühen.
    »Kevin Tait, freut mich, Sie in unserer Show begrüßen zu dürfen.«
    Kevin liebte es, sich solche Dinge auszumalen, ein Interview mit David Letterman, auch wenn er wusste, dass Letterman niemals Dichter interviewte. Er nahm einfach an, dass er bei ihm den Anfang machte.
    »Kevin Tait«, wiederholte er. »Da sind Sie nun. Ihre letzten Gedichtbände sind in zigtausendfacher Auflage erschienen. Ihre Verse werden täglich rezitiert. Sie sind nicht mehr nur ein Dichter, Sie sind ein Kulturträger erster Güte. Und doch – ich weiß nicht, wie ich mich da vornehm ausdrücken soll – treiben Sie sich mit Abschaum rum. Mit Taugenichtsen. Drogendealern. Was ist Ihre Haltung dazu?«
    Lettermans Pennälergrinsen nahm seiner Frage den Stachel.
    »Drogendealer, Dave, leisten einer, seien wir doch mal ehrlich, unterschätzten Gruppe einen dringend benötigten Dienst. Über Jahrhunderte haben Menschen Drogen genommen, und daran wird sich auch nichts ändern. Denken Sie an Coleridge. Denken Sie an Rimbaud. Eine kleine Wahrnehmungsstörung hat noch keinem geschadet. Und nicht nur Künstlern. Es herrscht eine lange, dunkle

Weitere Kostenlose Bücher