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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Nacht da draußen, Dave, und jeder braucht ein bisschen Hilfe, um sie durchzustehen.«
    Applaus. Letterman ignorierte ihn.
    »Aber Sie sind Dichter. Und Sie hängen mit
Schlägertypen
rum. Beunruhigt Sie das nicht?«
    »Beunruhigen? Eigentlich nicht.« Kevin wartete einen Herzschlag lang. »Es erschreckt mich zu Tode.«
    (Gelächter.)
    »Dann setzen Sie uns mal ins Bild. Wie passt dieses – tut mir leid, aber das muss mal gesagt werden – ausgeflippte Benehmen in Ihren großen Lebensentwurf?«
    »Mein Lebensentwurf, Dave, sieht vor, in möglichst kurzer Zeit eine Menge Kohle mit möglichst viel Schmuggelware zu machen. Danach werde ich für ein paar Jahre nach Griechenland verschwinden, um den großen Wurf zu schreiben. Vielleicht auch nach Barcelona oder Tanger, ich bin mir noch nicht sicher.«
    Anschließend forderte ihn Letterman auf, sein letztes Gedicht vorzulesen. Als er zum Ende kam, herrschte zunächst ehrfürchtiges Schweigen, bevor wie Balsam für seine Seele der Applaus durch das Studio wogte.
    Der Plan hatte einen Haken, von dem Letterman nichts wusste: Kevin hatte selbst eine Schwäche für das Produkt, das er verkaufte. Er redete sich gerne ein, seine persönliche Wertschätzung für seine Ware mache ihn zu einem hervorragenden Verkäufer. Jedenfalls war er in diesen Tagen clean; nur hin und wieder ein Skin-Popping in Ehren. Das hatte noch niemandem geschadet. Außerdem wusste er, dass er mit dem Skin-Popping auch noch aufhören konnte. Er musste nur zu den zwölf Schritten zurück.
    Das war also sein Plan: Clean bleiben und im Lauf des nächsten Jahres einen Riesenhaufen Cash einnehmen. Dann würde er nach – wer weiß? Griechenland, Tanger, Barcelona – verduften und seine Zeit in schöpferischer Einsamkeit verbringen, nichts weiter als starken Kaffee trinken und Gedichte schreiben. Dann würde er sie eins nach dem anderen per E-Mail an Terri schicken, damit sie wusste, dass er dabei war, seinen Weg zu machen. Sonst würde sie ihn vermutlich auf der ganzen Welt jagen in ihrem Versuch, auf ihn aufzupassen.
    Terri hatte schon immer die Neigung gehabt, ihn zubemuttern, und manchmal ging das einfach zu weit. Erst vor wenigen Tagen hatte er ihr stecken müssen, was in dieser Hinsicht Sache war. Danach hatte sie sich verpisst, und er hatte nicht wieder von ihr gehört. Wahrscheinlich war sie nach Vancouver zurück, was Kevin nur recht sein konnte. In ein paar Wochen würde er sich mal telefonisch bei ihr melden, ihr sagen, dass er nicht mehr sauer auf sie war. Im Moment war es erst mal viel wichtiger, einen Notgroschen zusammenzukratzen, und Red Bear war genau der Mann, der ihm dabei helfen würde.
    Als Red Bear ihm das erste Mal über den Weg lief, eine weiße Lichtgestalt, die von einem guten Draht zur Welt der Geister faselte, hatte Kevin ihn nur für einen Spinner gehalten. Das war vor fast einem Jahr gewesen. Kevin und Leon hatten vor dem Lemon Tree an der Algonquin Avenue gesessen und gelabert und dabei den vorbeispazierenden Mädchen hinterhergeschaut. Es sah nach dem letzten schönen Sommertag aus, und alle Tische waren besetzt. Da steigt Red Bear aus einem schwarzen Wagen – den jemand anders fährt – und läuft schnurstracks in den Laden. Ein paar Minuten später kommt er mit einer Limonade wieder raus und direkt auf sie beide zu.
    »Was dagegen, wenn ich mich dazusetze?« Das sagte er zu Leon, nicht zu Kevin.
    Leon zuckte die Achseln. »Wir leben in einem freien Land.« Red Bear zog den Stuhl vor, drehte ihn um und setzte sich rittlings darauf, die Ellbogen auf der Lehne. Die Fransen an seiner weißen Jacke hingen fast auf den Bürgersteig.
    »Als Gegenleistung für eure Freundlichkeit werde ich euch die Karten legen.«
    Red Bear hatte eine seltsam förmliche Sprechweise, als übersetzte er aus einer anderen Sprache.
    Kevin rechnete mit Tarotkarten, doch Red Bear zog ein gewöhnlichesKartenspiel heraus und breitete es fächerförmig auf der Tischplatte aus. »Zieh eine Karte, die für dich steht«, sagte er zu Leon. Leon tippte auf Herzkönig – er war kein Ausbund an Feinfühligkeit. Er lehnte sich zurück und strich sich mit dem Zeigefinger über die Stirn. Er hatte dort eine kleine Narbe, und zuweilen rieb er daran, als könne er sie ausradieren.
    Red Bear nahm mit Ausnahme des Königs alle Karten wieder an sich und mischte sie, um sie anschließend in Quadraten und Kreuzen erneut zu legen. Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine tiefe Konzentrationsfalte. »Du hattest kürzlich

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