Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
Vom Netzwerk:
doch Brenda Stewart hatte sich standhaft geweigert, im Impala seiner Eltern aufs Ganze zu gehen. Jetzt blickte er über die Dächer der Stadt Richtung Manitou Islands, die etwa sieben Meilen südlich vorgelagert waren. Beaufort Hill lag hinter dem Wald im Westen; von da aus hatte man keine gute Sicht.
    Cardinal fuhr weiter bis zur Universität und stellte das Auto auf dem Besucherparkplatz ab. Er ging über den Campus bis zu dem Wegenetz, das sich hinter dem College in alle Richtungen verzweigte. Eine Gruppe Studenten strömte schwatzend und lachend aus dem Haupteingang und strebte in einer fröhlich lärmenden Traube in wechselnden Gruppierungen zu den Unterkünften. Wie jung sie Cardinal jetzt erschienen – selbst noch jünger als seine Tochter Kelly – und wie unbeschwert. Cardinal beneidete sie um ihren lockeren, kameradschaftlichen Umgangston. In seiner Studienzeit in Toronto hatte er versucht, Geld zu sparen, indem er außerhalb des Campus in einem stinkenden kleinen Zimmer Nähe Kensington Market hauste. Auf diese Weise war ihm die Erfahrung entgangen, in einem Bau mit anderen Studenten zusammenzuleben, und letztlich hatte es auch noch mehr gekostet.
    Er kam auf einen weitläufigen Aussichtsplatz zwischen den Kiefern und von dort aus auf die Wanderpfade. Cardinal schlug denjenigen ein, der ihn auf die Spitze des nächstgelegenen Hügels brachte. Er ging schnell, um den Mückenschwärmenvoraus zu sein, statt sie sich fortwährend aus dem Gesicht zu wedeln. Er hatte etwa dreihundert Meter Waldweg hinter sich, als der Pfad eine Schleife machte und schließlich an einem künstlich angelegten See endete. Cardinal verließ den Pfad und lief den Hügel hinauf. Es lag ein schwerer Duft nach Kiefern, Lehm und nassen Blättern in der Luft. Der Niesel verlor sich, bevor er den Waldboden erreichte, und legte sich als feiner Nebelschleier auf die Haut.
    Das Schlimmste an den Kriebelmücken, dachte Cardinal, das wahrhaft Teuflische daran ist, dass sie vollkommen lautlos sind. Sie summen nicht wie Bienen oder brummen wie Pferdebremsen, geben nicht einmal das helle Sirren von Moskitos von sich; man ist nie gewarnt, ein Präventivschlag ist nicht möglich. Es brannte plötzlich am Knöchel, als hätte ihn jemand mit einer heißen Nadel gestochen. Er beugte sich hinunter, um seine Hosenbeine in die Socken zu stopfen. Das einzig Gute, das sich über Kriebelmücken sagen ließ, war der Umstand, dass sie nicht durch die Kleider stachen. Während er sich bückte, bediente sich ein anderes Insekt an seinem Hals. Er klatschte danach und zog eine blutverschmierte Hand zurück. Er schlug den Kragen hoch und erklomm weiter den Hang.
    Nach zehn Minuten stieg Cardinal schwitzend und keuchend und unter heiligen Schwüren, sich ab sofort häufiger im Fitnessraum des Präsidiums blicken zu lassen, auf ein nacktes Felsplateau. Im Süden schimmerte trübe in Nierenform der Lake Nipissing, doch im Westen konnte er von hier aus Beaufort Hill sehen. Der alte Feuerwachtturm stand direkt unter dem Kamm; der schmale Feldweg, der dort hinaufführte, entfernte sich in einem weiten Bogen von den Masten darunter. Hier hatte Dr. Paley sein Foto gemacht.
    Vielleicht hatte auch Red hier gestanden. Cardinal sah sich auf der Lichtung um, während er unentwegt die Mücken verscheuchte,als dirigierte er ein Orchester. Überall hatten Besucher ihre Andenken hinterlassen – eine verrostete Sprite-Dose, Papier von einem Schokoriegel, die verkohlten Reste eines Lagerfeuers. Offenbar war dies eine bei Studenten beliebte Stelle, wenn auch gewiss nicht in der Kriebelmückensaison. Cardinal schlug sich an die Schläfe.
    Er sprang von dem Felsen, auf dem er stand, und lief, so schnell er konnte, in westlicher Richtung durch den Wald. Auch wenn es hier keinen Pfad gab, war dank des nackten Granits besser durchzukommen als im dichten Gestrüpp ringsum. Er lief weiter, ohne recht zu wissen, wonach er suchte. An seinen Knöcheln und am Hals juckten die Stiche.
    Wer bei Trost war, würde sich nicht hierher verirren. Was konnte eine junge Frau wie Red hierher gezogen haben? Sicher, falls sie nicht aus dem Norden stammte, hatte sie keine Ahnung von den Mücken.
    Cardinal arbeitete sich zwischen den Bäumen hindurch, nunmehr dicht gefolgt von einem Insektengeschwader, das es auf seine Ohren abgesehen hatte. Endlich fand er den Pfad, der am Nishinabe Creek entlangführte. Der Winter hatte ihnen dieses Jahr besonders viele Niederschläge beschert, mit Blizzards bis in den

Weitere Kostenlose Bücher