Kalter Mond
nichts damit zu tun, es hätte wohl böses Blut unter den Bikern gegeben, doch Kevin wusste nicht recht, ob er ihm glauben sollte. Wie dem auch sei, nur noch ein, zwei ordentliche Deals, und er würde verduften. Dann also tschüs, Red Bear, Leon. Noch ein paar Wochen, und er saß im Flieger nach Tanger und schrieb Gedichte, die der Poesie ganz neuen Auftrieb geben würden.
Bis dahin musste er sich in dem üben, was Keats als Fähigkeit zur Negation bezeichnete. Er musste in der Lage sein, zwei widerstrebende Vorstellungen zugleich zu denken: die Vorstellung, dass er sich mit möglichen Killern eingelassen hatte, die ihn das Fürchten lehrten, und die Idee, dass er Dichter war und nur versuchte, das Geld für seine Kunst zusammenzukratzen.
Sicher, das Geld floss reichlich. Red Bear hatte ein paar echt gute Kontakte nach Westkanada, und jetzt hatten sie die Ware, um sie zu beliefern – mit Wahnsinnsprofit. Red Bear überließ Kevin oder einem der anderen nie mehr als winzige Mengen Stoff – eben genug, um in der Stadt ein bisschen was nebenbei zu verdienen, und sie mussten jedes Gramm mit ihm abrechnen. Dafür bezahlte er sie gut. Das meiste Geld behielt er natürlich selbst, doch das war für keinen von ihnen ein Problem. Schließlich war er der Mann mit den Ideen und Kontakten.
Eines Tages – es war spät am Nachmittag, und sie saßen über einem Kaffee im Rosebud herum – kam Red Bear hereinund sagte ihnen allen, sie sollten zum Lager zurückfahren und sich umziehen. »Ich will, dass ihr wie Gentlemen ausseht.«
Er brachte sie alle in seinem BMW zum teuersten Restaurant der Gegend, dem Trianon, wo sie zum Essen guten Wein tranken und zum Abschluss einen Cognac. Kevin wäre Bier lieber gewesen, doch er musste zugeben, dass er noch nie im Leben so ein gutes Steak gegessen hatte.
»Wir sind am Anfang einer langen Glückssträhne«, erklärte Red Bear, als die Brandys kamen. »Selbst die Geister sind ganz aufgeregt, und glaubt mir, das kommt nicht alle Tage vor.«
Die Kellner in Livree, die gestärkten weißen Tischtücher, das blitzende Silber, dies alles kündete von Reichtum und Überfluss wie ein Tausend-Dollar-Schein.
Sie hätten eine Gruppe erfolgreicher junger Geschäftsleute sein können, dachte Kevin, nur dass keiner von uns je etwas mit legalen Geschäften zu tun gehabt hat. Und dass einer von uns um tote Schweine tanzt. Und einer von uns eine absolute Dumpfbacke ist. Was zum Teufel hab ich eigentlich hier verloren?
»Meine Kinder«, sagte Red Bear.
Kinder?
Kevin hätte beinahe in sein Weinglas geprustet. Jetzt sind wir schon seine
Kinder?
»Ich möchte, dass wir für lange Zeit erfolgreich sind. Das erfordert dreierlei.« Red Bear sah sie mit diesem gewissen Ausdruck an, und Kerzen wie Gläser spiegelten sich in seinen seltsam hellen Augen.
»Als Erstes harte Arbeit«, sagte er. »Wir müssen zusätzliche Kontaktmöglichkeiten finden, mehr Ware umschlagen, höhere Verkaufsziffern erzielen. Ich werde diese Aufgaben unter euch verteilen. Möglicherweise ist auch eine gewisse Reisetätigkeit damit verbunden. Insbesondere müssen wir weiter in die Prärie-Provinzen vorstoßen. British Columbiahab ich in der Tasche, aber Alberta und Saskatchewan müssen wir uns erst noch erobern.
Das Zweite – und das ist so selbstverständlich, dass ich es eigentlich gar nicht erwähnen müsste – ist Diskretion. Ihr dürft niemals über das, was wir tun, reden. Niemals. Mit keinem Menschen. Stellt euch das vor wie beim Geheimdienst oder was auch immer, aber ihr dürft niemals irgendjemandem – hört ihr, irgendjemandem – erzählen, womit ihr euren Lebensunterhalt verdient.«
»Nicht mal in der Familie?«, sagte Toof. »Ich hab ’n paar Brüder, mit denen ich ab und zu ’ne Runde quatsche.«
Red Bear packte ihn am Handgelenk, und über Toofs offenes Gesicht legte sich ein Schatten der Angst.
»Wir sind deine Familie«, sagte Red Bear. »Vergiss das nie.«
»Und was ist das Dritte?«, warf Kevin ein, um Toof zu retten. »Du hast gesagt, für den Erfolg bedürfte es dreierlei.«
Der Husky-Blick ruhte jetzt auf ihm.
»Das Dritte, mein Freund, ist Abstinenz. Jeder hier am Tisch lässt die Finger von der Ware. Für immer. Ihr könnt so viel Dope rauchen, wie ihr wollt, ist mir egal. Ihr könnt eure Privatvorräte auch in der Stadt verkaufen, um ein bisschen nebenher zu verdienen, das ist mir auch egal. Aber wenn ich merke, dass einer von euch auch nur ein Mikrogramm von unseren Lieferungen anrührt, bring
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