Kalter Mond
man meist vergeblich auf diesen Luxus.
Cardinal und Catherine arbeiteten oft gleichzeitig unten im Keller, er selbst an der Werkbank und Catherine in der Dunkelkammer.Sie hatten einen verstaubten Ghettoblaster dort aufgestellt und bestimmten abwechselnd die Musik. Bei anderer Gelegenheit baute Cardinal gerade an etwas und hörte ihre Schritte über sich in der Küche. Zu zweit allein. So sah er diese Zeiten – wir sind zusammen allein. Manchmal schien ihm die Intimität dabei größer als beim Sex.
Jetzt waren von oben keine Schritte zu hören, und Cardinal hatte sich nicht die Mühe gemacht, Musik aufzulegen. Das Tischlern bereitete ihm auch keinen besonderen Spaß. Ohne Catherine war es nicht dasselbe.
Das Telefon klingelte. Cardinal schaltete den Hobel ab, knipste seine Arbeitslampe aus und ging nach oben in die Küche.
»Was brauchst du so lang?«, sagte Catherine, als er sich meldete. »Musstest du sie erst zur Hintertür rauswerfen?«
»Hey, mein Schatz. Ich hatte gestern Abend auf deinen Rückruf gehofft.«
»Tut mir leid«, sagte Catherine. »Wir waren draußen und haben diese alten Getreidesilos im Hafen fotografiert. Sie sehen bei Mondlicht phantastisch aus. Und die alte Mälzerei erst mal. Hat Spaß gemacht, und ich glaube, die Studenten haben eine Menge gelernt. Wie läuft’s bei der Arbeit?«
»Ein Mord, ein Mordversuch.«
»Du liebe Güte, die lassen dich vermutlich Überstunden schieben.«
»Wird immer ziemlich spät, ja. Kelly hat gestern Abend für dich angerufen. Sie sagte, sie wolle nur ein bisschen plaudern, aber ich denke, sie braucht Geld. Natürlich hat sie von mir keins angenommen. Konnte nicht schnell genug den Hörer auflegen.«
»John, nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen, sie fängt sich schon wieder, das weißt du genau. Wie dem auch sei, ich hab im Moment den Kopf zu voll mit anderen Dingen.«
Das sah Catherine nicht ähnlich. Bei nichts anderem war sie so bei der Sache, wie wenn es um ihre Tochter ging.
»Ich wünschte, du wärst zu Hause«, sagte Cardinal. »Oder ich dort bei dir. Hier ist es mir zu still.« Wenigstens so viel konnte er sagen, ohne dass sie ihm vorwerfen durfte, sie zu unterminieren.
»Na ja, ich kann nicht nach Hause kommen, John. Ich stecke hier mitten in ziemlich wichtigen Dingen.«
»Das weiß ich doch, Schatz. Ich bin froh, dass es gut läuft.«
»Die Sache mit diesen Hafenbildern ist nämlich die, wir kriegen so viel Sterne drauf, so viel Mond. Ich hab über einiges nachdenken müssen. Wenn du nicht gerade Astronom bist oder so, nimmst du sie mehr oder weniger für selbstverständlich, aber ich fange an, über sie nachzudenken. Ich denke, ich fange an, sie zu begreifen. Zum ersten Mal.«
Er hörte diesen metallisch klirrenden Unterton in ihrer Stimme. Einen Gedankengang, der von der Spur der Vernunft abkam.
Er sagte etwas Beruhigendes wie: »Freut mich zu hören, Schatz.« Doch zugleich schickte er ein stummes Gebet zum Himmel:
Bitte lass sie die nächsten Tage schaffen. Bitte lass sie es bis nach Hause schaffen.
»Wenn du Sterne in Verbindung mit Gebäuden fotografierst, kannst du ihre Bewegung fühlen. Du spürst beinahe eine
Absicht
. Weißt du noch, wie wir damals die Nordlichter gesehen haben?«
»Du meinst, in Neufundland? Ja, natürlich.«
Sie hatten die Nordlichter schon oft in Algonquin Bay gesehen, aber nie so wie damals in Bonavista Bay. Der halbe Himmel hatte von Lichtschleiern geschimmert – Smaragdbis Limonengrün, Zinnoberrot. Und plötzlich hatte Cardinal begriffen, was Ehrfurcht heißt.
»Also, es ist ziemlich ähnlich. Der Himmel um Mitternachtist eigentlich gar kein Ort. Er ist ein überirdisches Buch. Wir können es noch nicht lesen, ich meine, nicht wirklich lesen. Aber man ahnt, dass es lesbar ist.«
Vor langer Zeit hatten Cardinal und seine Frau einen Code ausgearbeitet. Das war in einer von Catherines besten Phasen gewesen. Sie hatte einige Jahre lang festen Boden unter den Füßen gehabt, und sie hatte in ihrem gesunden Wesen geruht, zu dem vieles gehörte – sie war klug, witzig und großzügig, vor allem aber gutmütig.
Cardinal hatte die günstige Gelegenheit genutzt, um einen Pakt mit ihr zu schließen.
»Cath«, hatte er gesagt, »ich hoffe, du bist mir nicht böse wegen der Bitte, die ich habe, aber ich denke, es ist wichtig.«
»In dem Fall werde ich nicht böse sein«, hatte sie erwidert. Sie hatte sich unter einer Lupe Kontaktabzüge angesehen. Dann hatte sie ihn über den Tisch hinweg angeschaut –
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