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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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sagen, ob sie auf der Basis gewohnt haben oder draußen?«
    »Das weiß ich nicht. Die letzte Adresse, die wir haben, ist 145 Deloraine Drive.«
    Auf der Basis.
    »Wie war Terri in Mathematik und Chemie?« Er wollte der jungen Frau das Gefühl geben, am Ende doch noch das Richtige getan zu haben.
    »Also wirklich, Detective, Sie können nicht von mir erwarten, dass ich Ihnen so etwas ohne eine Verfügung sage. Da müssen Sie erst zum Richter gehen.«
    »Natürlich«, sagte Cardinal. »Ich kümmer mich drum.«
    Er legte auf und nahm seine Jacke vom Haken. Sein Telefon klingelte, doch er war schon halb an der Tür.
     
    Auch wenn die Bewohner von Algonquin Bay das nicht gerne hören, ist es nur zu wahrscheinlich, dass die Stadt ihre besten Jahre hinter sich hat. In ihrer Glanzzeit Mitte des letzten Jahrhunderts gab es drei Bahnlinien durch die Stadt; jetzt gibt es nur noch eine. Der Bahnhof der Canadian National Railways brannte vor einigen Jahren nieder, eine Schande, wenn man bedenkt, dass es sich um eins der wenigen Gebäude in dieser Nullachtfünfzehn-Stadt handelte, die etwas Besonderes waren. Und die ehemalige Canadian Pacific Railway Station, ein klassischer Kalksteinbau in der Oak Street, wird derzeit in ein Eisenbahnmuseum umgewandelt. Nur der frühere Bahnhof der Ontario Northland Railway ist noch in Funktion, wenn auch lediglich als Bürogebäude der Eisenbahnlinie.
    Der Kalte Krieg hatte Algonquin Bay dagegen gut getan. Kanada brachte seine Streitkräfte auf Zack und verband sich mit den USA in der Norad, einem System vernetzter Radaranlagenund Luftstützpunkte, die dazu dienten, eine Bedrohung abzufangen, die über die Eiskappe aus Russland kam. Mitte der Sechzigerjahre konnte sich der hiesige Luftstützpunkt einer dreitausend Mann starken Besatzung und eines Arsenals an Bomarc-Raketen mit Nuklearsprengköpfen rühmen. Das Verteidigungsministerium höhlte am Trout Lake einen Berg aus und richtete darin eine dreistöckige Radarstation ein, eine Art Dr.-Strangelove-Set, das damals seinesgleichen suchte.
    Doch der Kalte Krieg ging irgendwann vorbei. Die Sprengköpfe verschwanden von den Raketen, dann wurden die Raketen selbst demontiert. Die Truppen wurden verringert und die Staffeln eine nach der anderen eingemottet. So verblieb am Ende nur ein militärischer Personalstamm von um die hundertfünfzig Mann in Algonquin Bay, und niemand schien zu wissen, wie lange der noch bleiben würde.
    Cardinal fuhr zum Kontrollpunkt der Basis hinauf. Manchmal war der Checkpoint besetzt, manchmal auch nicht; das kam auf den jeweiligen Grad der Bedrohung an. Heute war er nicht besetzt, und Cardinal fuhr durch, ohne sein Tempo zu drosseln. Das warf Fragen nach der Wehrhaftigkeit seines Landes auf.
    Cardinal folgte bei seiner Suche der Logik einer wenig beachteten Auswirkung der verschwundenen Geschwader: leer stehende Häuser. Niemand redete viel über diese Gebäude, und das Militär hatte nicht vor, sie an die große Glocke zu hängen. Sie auf den Markt zu bringen hätte den Wert sämtlicher anderen Eigenheime in der Stadt vernichtet. Und so kommt es, dass Algonquin Bay ohne das Wissen der meisten seiner Bürger über genügend leere Häuser verfügt, um eine ganze Siedlung zu füllen, und genau danach sah der Stützpunkt aus.
    Der einzige Unterschied zwischen der Basis und anderenVierteln aus den Sechzigerjahren besteht darin, dass die Gebäude sich nicht nur ähnlich, sondern identisch sind: anderthalbgeschossige Häuser im Ranchstil, mit Doppelgaragen und abgesenkten Wohnzimmern. Auch die Straßen wirken alle gleich, ebenso sämtliche Zufahrtswege, alle Nebenstraßen, Wendekreise, Sackgassen sowie irreführenden Kurven und toten Winkel, die offensichtlich den Russen täuschen sollten.
    Cardinal hatte gedacht, er wüsste, wo der Deloraine Drive war, doch wie sich zeigte, wusste er es nicht. Nachdem er zum dritten Mal an demselben verbogenen Stoppschild vorbeigekommen war, fuhr er an den Straßenrand heran. Auf der anderen Seite lief ein einsamer Fußgänger, der die Sommeruniform der kanadischen Postboten trug, eine Kombination aus kurzärmligem weißem Hemd und blauen Shorts. Die Gestalt kam auf eine sehr eigenwillige Weise voran. Alle drei bis vier Schritte blieb der Mann stehen, beugte sich in einer Art wiegender Bewegung zurück und wechselte mit der Linken den Fingersatz am Griffbrett einer Luftgitarre.
    Falls es irgendjemand verdiente, dieses subtile Instrument zu spielen, dann zweifellos Spike Willis. Spike war an

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