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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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der Schule ein, zwei Klassen über Cardinal gewesen und hatte seit seinem sechzehnten Lebensjahr stets in den besten Rockbands gespielt, die Algonquin Bay hervorgebracht hatte. In den Siebzigern war er eine ganze Weile in Toronto aufgetreten, hatte jedes Jahr die Band gewechselt, eine Menge Aufnahmen produziert und sich schon bald den Ruf erworben, seine ramponierte Telecaster zum
Sprechen
zu bringen. Dann warf er das alles mit einem Schlag hin, um nach Algonquin Bay zurückzukommen und im hohen Norden eine Familie zu gründen. Das Wieso und Weshalb hatte Cardinal nie erfahren. Und er kannte Spike auch nicht gut genug, um ihn zu fragen. Er wusste nur so viel, dass Spike Willis auf eine Weise Bluesgitarrespielte, die einen gestandenen Mann zum Weinen bringen konnte.
    Er rief ihn herüber.
    »Au Scheiße. Ich ergebe mich, Officer.« Spike riss mit einem breiten Grinsen die Hände hoch. Er war Cardinal schon immer als einer der wenigen wahrhaft glücklichen Menschen erschienen, die Mutter Natur geschaffen hatte.
    »Wissen Sie, ich bin in dieser Stadt aufgewachsen«, sagte Cardinal. »Und ich bin jetzt seit zwölf Jahren wieder hier. Wie kann ich mich da nur verirren, verflixt noch mal?«
    »Oh Mann, hier oben verirrt sich jeder«, sagte Spike. Er ruckte seinen Postsack zurecht und wedelte eine Kriebelmücke weg, ohne zuzuschlagen – seine gutmütige Natur war offenbar mückenresistent. »Ich bin genau hier auf der Basis aufgewachsen, und ich will Ihnen was sagen. Die Geschichte ist wahr. Eines Abends hatte ich ein paar zu viel gekippt – na ja, mehr als nur ein paar –, und ich komm nach Hause, mach die Tür auf, geh rein und stelle plötzlich fest, dass meine ganze Familie aus der Stadt verzogen ist. Mom, Dad, Schwester, alle futsch. Stattdessen ist ’ne andere Familie eingezogen und hat sämtliche Möbel ausgetauscht. Sogar das Aquarium war weg. Ich kam mir vor wie das Opfer in einem Zaubertrick. Ich traute meinen Augen nicht.«
    »Sie waren ins falsche Haus gestolpert?«
    »Ich hatte das falsche Haus erwischt. Dabei hab ich hier
gewohnt
, Mann. Das geht ein bisschen zu weit, finden Sie nicht? Wo wollen Sie denn hin?«
    Cardinal sagte es ihm, und Spike wies ihm den Weg.
    »Wie viele von diesen Häusern stehen eigentlich leer?«
    »Du liebe Güte, Dutzende. Ich brauch hier nicht mal mehr mit meinem Zustellkarren rauf.«
    »Die sehen aber gar nicht aus, als stünden sie leer.«
    »Nee, die Armee sorgt dafür, dass sie adrett aussehen. Denkenwohl, in dem Moment, wo sie gehen, bricht der ganze Laden hier zusammen. Stimmt vermutlich sogar.«
    »Was ist mit Deloraine? Ist das eine Geisterstraße?«
    »Eigentlich nicht. Die haben dafür gesorgt, dass keine Straße ganz leer steht. Sie vermieten die Häuser, wissen Sie. Ziemlich niedrige Miete, was ich so höre.«
    »Irgendwas Ungewöhnliches da oben in Deloraine aufgefallen?«
    »Nö. Alles wie gehabt.«
    »Also dann, danke. Wo spielen Sie als Nächstes?«, fragte Cardinal.
    »Toad Hall, übernächsten Samstag.«
    »Ich versuch zu kommen.«
    »Tun Sie das. Hab ’ne Gastsängerin. Schwarzes Schätzchen, hat’s wirklich drauf.«
    Spike machte sich wieder auf seinen Weg und schickte, während er sich wiegte und verbog, ein weiteres irres – wenn auch stummes – Solo in den blauen Himmel.
    Es zeigte sich, dass der Deloraine Drive eine Sackgasse war. Cardinal parkte in einem engen Wendekreis und lief zu Fuß zur Nummer 145 hinüber, dem letzten Haus von dreien. Der Rasen war gemäht und der Eingangsbereich gekehrt, alles picobello, wie von Spike prophezeit. Zwar waren die Jalousien heruntergelassen, doch ansonsten verriet nichts, dass das Haus leer stand.
    Cardinal ging zur Haustür. Sie war eingeklinkt, unberührt. Auch die Schiebeelemente des vorderen Panoramafensters waren intakt. Er stieg auf den Rasen hinunter und prüfte das Fenster an der Frontseite des Hauses, das offenbar zum Elternschlafzimmer gehörte. Auf dem Fenstersims lag eine dicke, unberührte Schicht Staub.
    Er ging ums Haus und sah, dass eins der Kellerfenster ein Loch in der Scheibe hatte, eben groß genug, um hindurchzugreifenund es aufzuschieben. Cardinal kniete sich auf den Rasen und wurde von einer Kriebelmücke gestochen. Er schlug zu spät danach. Er schob das Fenster auf, drehte sich um und stieg rückwärts hinein, um sich auf den Kellerboden herunterzulassen.
    Das Haus war nur halb unterkellert, es reichte gerade für eine Waschmaschine und einen Trockner, beide noch vorhanden. Er hob den

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