Kalter Mond
Aufmerksamkeit war entscheidend für den Erfolg. Er wollte, dass der Geist für ihn wandelte.
»Seeno temtem naka nova valdor.«
Er rührte mit den Stöcken in der fauligen Flüssigkeit. Ein bleicher, zehenloser Fuß schwamm an die Oberfläche; mit Hilfe einiger
palos
hielt Red Bear ihn an der Kesselwand fest. Wieder fischte er im Trüben, und ein zweiter Fuß erschien.
»Sendekere mam koko, pantibi.«
Wandle für mich, Geist. Ich, der dir Füße zum Laufen gegeben habe, befehle dir, für mich zu wandeln, zu entdecken.
Er drückte die Füße wieder nach unten und stocherte nach Händen. Es gab keine richtigen Hände, nur fingerlose Handteller sowie die Finger selbst, die er für den
nganga
einen nach dem anderen abgeschnitten hatte. Sein Herz schlug höher bei der Erinnerung an die Angst und Qual seines Opfers. Angst und Qual waren die Pforten, durch die sterbliches Fleisch die unsterbliche Welt des Geistes betrat. Angst und Qual waren das Tor, durch das er, Red Bear, die Geister der Toten befehligte. Angst und Qual waren seine Freunde.
Eine Reihe der Stöcke waren an den Enden zu löffelartigen Gebilden abgeflacht. Er benutzte einige davon, um Finger nach oben zu befördern. Sie waren weiß und verschrumpelt; an einem befand sich noch ein Ring mit Totenkopf und gekreuzten Knochen.
»Kandopay varonaway d’kran. Bentak po bentak mamtinpay. Naktak po naktak mam kennetay.«
Greif für mich, Geist. Ziehe meine Verbündeten herbei. Dränge meine Feinde zurück.
Red Bear quirlte erneut in der dunklen Flüssigkeit herum; die Gerüche hüllten ihn ein. Jetzt schwamm der größte Gegenstand im
nganga
empor, der Kopf drehte sich in Zeitlupe an der Oberfläche. Die blinden Augenhöhlen waren halb geöffnet und starrten an Red Bears Schulter vorbei.
Red Bear rezitierte in der Sprache der Magie.
Geist, wandle für mich, lerne für mich, vermittle mir Wissen. Geist, verwende das Hirn, mit dem ich dich gesegnet habe, und sage mir, was ich wissen will. Geh, Geist, geh und verrichte diese Arbeit für mich.
32
C ardinal saß an der Theke des D’Anunzio, einer Art Zwitter aus Obstgeschäft und Imbissstube, bereits ein Wahrzeichen von Algonquin Bay, als Cardinal noch nicht geboren war. Bei D’Anunzio gab es die besten Sandwiches in der ganzen Stadt, und genau deshalb war Cardinal hier. Obwohl er sein Geflügelsalat-Bagel in null Komma nichts verputzt hatte, blieb er an der alten Holztheke sitzen und machte sich Notizen.
Cardinal glaubte schon lange nicht mehr an Inspiration. Er glaubte sogar nicht einmal mehr an seine eigene Findigkeit. Er attestierte sich kein spezielles investigatives Talent. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass der Erfolg einer Ermittlungstätigkeit damit stand und fiel, wie viel Zeit man investierte. Man war kein Genie, man war kein Sherlock Holmes, man war Teil einer Organisation, die sich der Aufgabe widmete, ein Verbrechen so lange von allen Seiten zu beleuchten, bis es aufgeklärt war.
Und so war es nicht weiter verwunderlich, dass er beim ersten zarten Aufflackern einer Inspiration, an die er aber nicht glaubte, diese Eingebung als wenig zweckdienlich beiseite geschoben hatte. Zu einfach, hatte er vermutet. Zu unwahrscheinlich.
Er machte sich Notizen darüber, wie sie den Ansatz mit den Bikern weiterverfolgen sollten. Er hatte immer noch nichts in der Hand, um ihnen den Mord an Wombat nachzuweisen.
Musgrave anrufen
, hatte er geschrieben.
Mehr Background-Info über die VR
. Und
Anruf bei Jerry Commanda. Umgekehrtes Telefonbuch überprüfen
strich er aus.
Das gehörte zu den Aufgaben, die er erledigt hatte. DieKripo hatte Telefonverzeichnisse für sämtliche größeren kanadischen Städte. Cardinal hatte die Nummer mit Vancouver-Vorwahl, die Terri vom Krankenhaus aus angerufen hatte, nachgeschlagen, doch sie war nicht registriert. Dann rief er die Auskunft für Vancouver an, die sie auch nicht hatte. Der junge Mann, mit dem er sprach, unterrichtete ihn immerhin, dass es eine Handynummer war.
Als Nächstes rief er den Sicherheitsdienst der Telefongesellschaft an und sagte ihnen, es handle sich um einen Notfall, eine Frau sei angeschossen worden, und er versuche, die nächsten Angehörigen zu benachrichtigen. Bell verriet ihm wenigstens, dass die Nummer einem gewissen Kevin Tait gehöre. Sie hätten keine Anschrift für ihn verzeichnet, denn er benutze Telefonkarten, und, nein, sie könnten ihm leider nicht sagen, wieso der Anschluss vorübergehend nicht erreichbar sei. Höchstwahrscheinlich
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