Kalter Schlaf - Roman
Flüchtigkeitsfehler. Inzwischen hat er sich wieder erholt und ist jetzt wie ein Rottweiler. Du hast selbst erlebt, wie er an Tatorten jeden anschnauzt.«
»Hyperwachsamkeit«, sagte Kate ruhig und dachte daran, wie oft dies mit Verfolgungswahn und Wahnvorstellungen einherging.
Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Diskussion. Joe nahm den Hörer ab. Er murmelte ein paar Worte, dann legte er wieder auf.
»Kretas Verlust ist unser Gewinn. Malins ist gerade eingetroffen, um uns Rede und Antwort zu stehen. Und er scheint ziemlich sauer zu sein.«
55
Fünf Minuten später saßen Joe und Kate in einem Vernehmungsraum. Bernie, der Malins schon von früher kannte, würde die Befragung vom Nebenraum aus verfolgen. Kate betrachtete den Besucher, als er eintrat. Malins trug ein weißes Polohemd, das seine Sonnenbräune betonte, und gebügelte Chinos. Sie registrierte den bulligen Nacken, die muskelbepackten Schultern, den breitbeinigen Gang. Und den Bauch, der über seinen Gürtel quoll. Er sah wie ein ehemaliger Gewichtheber aus.
Er zog den angebotenen Stuhl ruckartig unter dem Tisch heraus, setzte sich wortlos und verschränkte seine muskulösen Arme. Unter dichter rötlicher Behaarung sah Kate eine Auswahl von Gefängniskunst sowie mehrere qualitativ bessere Tätowierungen. Dazu gehörten Arabesken, die das Wort »Mom«, aber auch die Aussage »Kim-4-Evva« umgaben. In einem Herzen, das von einem Pfeil durchbohrt wurde, stand der Name »Maz«, was Zweifel an seiner unverbrüchlichen Treue zu Kim aufkommen ließ. »Für ewig« schien eine bestimmte Verfallsdauer zu haben.
Vielleicht irre ich mich, was die Chronologie betrifft.
Kate seufzte innerlich über diese Banalität.
Aus Malins’ Haltung sprach düstere Gleichgültigkeit. Joe begann damit, dass er sie beide vorstellte, und wartete gelassen einige Sekunden lang, bis Malins ihn ansah.
»Danke, dass Sie in die Rose Road gekommen sind, Mr. Malins. Das hiesige Department für ungelöste Fälle hat neue Ermittlungen wegen des Verschwindens einer jungen Frau namens Molly James aufgenommen.«
Joe und Kate warteten.
Malins starrte nicht mehr Joe, sondern die Wand hinter ihm an.
Der Lieutenant fuhr fort: »Als ein Kollege von der KUF neulich mit Ihnen gesprochen hat, haben Sie nicht erwähnt, dass Sie wegen Vergewaltigung vorbestraft sind.«
Malins betrachtete das in eine Wand eingelassene Rechteck aus Einwegglas und wandte seine Aufmerksamkeit dann aufreizend lässig Kate und Joe zu. Er war erst zwei Minuten hier, aber schon hätte Kate ihn am liebsten geohrfeigt.
Malins’ Blick ging wieder an Joe vorbei. »Ja, das stimmt. Ich hab’s nicht getan.«
»Warum nicht?«
»Hab’s eben nicht getan.«
Kate spürte ein Prickeln auf der Kopfhaut und im Nacken. Joe beugte sich nach vorn.
»Eine Vorstrafe ist eine Tatsache, Mr. Malins. Gerade in Ihrem Fall möchten wir uns an Tatsachen halten.«
»Hab’s eben nicht getan«, wiederholte er und betrachtete jetzt Kate, beziehungsweise den obersten Knopf ihrer cremeweißen Seidenbluse.
»Erzählen Sie uns davon.«
»Hab euch Leuten nichts zu erzählen.«
Nachdem Joe ihm klargemacht hatte, dass er eine Verhaftung riskierte, wenn er sich weiter so unkooperativ verhielt, lieferte Malins binnen fünf Minuten eine verkürzte Version seines Vergehens, ausgeschmückt mit den üblichen Verneinungen, eigennützigen Verdrehungen und sonstigen Ausreden, die Kate von Straftätern, mit denen sie gearbeitet hatte, unzählige Male gehört hatte.
Nach seiner Schilderung hatte er die junge Frau in einer Sommernacht des Jahres 2000 in einer Bar in der Broad Street kennengelernt. Als er dann gegangen sei, behauptete Malins, sei sie mehr oder weniger »zufällig mitgekommen«. Und als sie an einem teilweise eingezäunten Baugelände vorbeigekommen seien, habe sie spontan erklärt, keine Einwände gegen Sex mit ihm zu haben.
Kate sah ihm ins Gesicht, achtete darauf, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. »Die junge Frau hat ausgesagt, dass Sie ihr noch in der Bar angeboten haben, sie nach Hause zu fahren. Dass Sie behauptet haben, Ihr Wagen sei auf dem unbebauten Gelände geparkt und dass Sie sie dort zu Boden geworfen und …«
»Hatte an dem Abend kein Auto nich’.«
»Trotzdem können Sie es behauptet haben!«, fauchte Kate, deren Geduld allmählich erschöpft war. Sie sah, wie Malins die Lippen zusammenpresste, als sein Blick sie streifte.
»Erzählen Sie uns von der jungen Frau«, forderte Joe ihn auf.
Binnen weiterer
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