Kalter Schlaf - Roman
könnte also bei … sagen wir mal, einem Fleischer oder in einem Schlachthof gearbeitet haben? Oder vielleicht ist er von Beruf Arzt?«
Kate zuckte mit den Schultern. »Er ist geschickter, als man als Fleischer sein muss, denke ich. Und Connie hält offenbar nicht viel davon, Tätern ärztliche Fertigkeiten zuzuschreiben. Das ist nur verständlich. Denkt an die Theorien, die im viktorianischen London über Jack the Ripper im Umlauf waren. Sich ihn als Arzt oder Chirurg vorzustellen, war sicher sehr verlockend. Ein hübscher sozialer Kontrast, den die Presse damals hochgespielt hat.«
»Trotzdem ist diese Idee nicht widerlegt, Doc. Er ist nie geschnappt worden.«
Kate stand auf, trat ans Fenster und drehte sich um.
»Denkt an andere Berufe, die Geschicklichkeit mit Messern voraussetzen.«
»Er könnte irgendeinen … technischen Job haben«, schlug Julian vor.
»Ja?«, fragte Bernie. »Welchen denn?«
Julian zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht recht …«
Bernie schüttelte den Kopf. »Ich bleibe dabei, Leute: Fleischer.«
Julian setzte sich auf. »Hey, könnte er nicht Koch sein? Jemand, der Essen zubereitet?«
Nun folgte eine längere Pause.
»Das hat uns nicht weitergebracht, Doc.«
Kate starrte ins Leere. »Und wenn’s gar kein Beruf wäre? Wenn es eine Art Nebenbeschäftigung … oder Hobby wäre?«
»Irgendwelche Ideen?«, fragte Joe.
Sie antwortete nicht gleich. »Holzschnitzer?«
»Was uns dazu einfällt, hilft uns nicht wirklich weiter, stimmt’s?«, fragte Bernie. »Wir müssen im Auge behalten, was er getan hat, aber ansonsten … Hey, was hast du vor?«
Die drei beobachteten, wie Kate energisch an die Glastafel trat, nach einem Markerstift griff und sich zu ihnen umdrehte.
»In meinem Kopf herrscht Chaos, und das kann ich nicht leiden.« Sie begann zu schreiben. »Ich muss Ordnung in dieses Durcheinander bringen. Festzustehen scheint, dass er seine Opfer längere Zeit als Stalker beobachtet hat, einverstanden? Dazu musste er verschiedene Entscheidungen treffen – zum Beispiel Entscheidung Nummer eins: Auf welche junge Frau habe ich’s abgesehen? Zweitens: Wo und wann beobachte ich sie? Und drittens: Wann geht die Beobachtungs- in die Entführungsphase über?« Sie notierte diese Punkte und drehte sich wieder um. »Irgendwas hinzuzufügen?«
»Er muss seit Jahren wissen, auf welchen Frauentyp er es abgesehen hat. Wegen seiner Fantasien«, sagte Julian. Kate gab ihm mit einem Nicken recht.
Joe beugte sich leicht nach vorn. »Also braucht er nur noch eine Frau zu finden, die seinen Kriterien entspricht, sie über längere Zeit hinweg zu beobachten und abzuwarten, bis er so weit ist.« Kate nickte erneut.
In der nun folgenden Stille meldete Bernie sich zu Wort. »Was ist mit diesem Spielzeug, das sie in die Hände bekommen hat? Wo war das? In seiner Wohnung – nein, das funktioniert nicht. Er hätte sie nicht dorthin mitgenommen, wo er wohnt. Aber hat es vielleicht schon in seinem Wagen gelegen, als er sie entführt hat?«
Kate betrachtete die Glastafel nachdenklich. »Gute Idee, Bernie. Das würde auch bedeuten, dass die Entführungsphase ziemlich schnell schiefgegangen ist, noch während Jody in seinem Auto war.« Sie machte eine Pause. »War das Spielzeugpony nur zufällig da? Oder aus einem bestimmten Grund?«
Bernie und Joe wechselten einen Blick.
»Um Gesprächsstoff zu liefern, sobald er sie im Auto hatte, meinst du?«, fragte Bernie.
Joe runzelte die Stirn. »Vielleicht war es mehr eine List, um sie in Sicherheit zu wiegen. ›Hey bloß nicht aufregen. Seh’n Sie, ich hab selbst Kinder. Ich bin ein anständiger Kerl.‹«
»Ich stimme euch beiden zu«, sagte Kate und ergänzte ihre Notizen auf der Glastafel.
Sie überflog das Geschriebene nochmals, dann wandte sie sich ihren Kollegen zu.
»Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass Janine ganz ruhig und unauffällig entführt worden ist, Joe. Sie hat gewusst, bei wem sie eingestiegen ist. Oder hat es zumindest geglaubt. Aber Jody?« Kate schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat sie in dem Sinn gekannt, dass er sie gesehen und beobachtet hatte. Aber sie hat ihn nicht gekannt. Also musste er eine List anwenden: Er hat ihr einen unpersönlichen Dienst angeboten. Eine Taxifahrt. Deshalb hat er vorausgesehen, dass es nötig sein könnte, ihr Misstrauen zu zerstreuen. Er musste damit rechnen, dass sie irgendwann erkennen würde, dass keineswegs alles in Ordnung war. Aber das ist unerwartet schnell passiert – als sie noch
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