Kalter Schlaf - Roman
in seinem Wagen war.«
Kate verließ ihren Platz an der Glastafel und setzte sich auf die Tischkante. »Trotzdem bleibt eine Frage weiter unbeantwortet: Wieso hat er Jody Westbrooke gewählt, wenn Körpergröße zu seinen Auswahlkriterien gehört? Sie war relativ klein. Wieso hat er das nicht gewusst, wenn er sie als Stalker beobachtet hat?«
Julian hockte mit hochgezogenen Schultern da. »Vielleicht hat er sie nur in Gebäuden und immer nur sitzend gesehen? Vielleicht ist er nie auf der Straße hinter ihr hergegangen?«
Bernie schüttelte den Kopf. »Aber er ist der Boss. Er bestimmt, wo’s langgeht. Er kann alles tun, überall sein …«
Kate stand auf, ging zwischen Tisch und Fenster auf und ab. »Julian hat recht, glaube ich«, sagte sie ruhig. »Er hat sie nicht in verschiedenen Situationen beobachtet. Das wirft eine weitere Frage auf: Warum hat er das nicht getan?«
»Vielleicht war das eine seiner Entscheidungen? Dass er’s diesmal kurz machen wollte?«
Sie runzelte die Stirn. »Aber weshalb sollte er das tun, Joe? Wozu sollte er einen für ihn so lustvollen Vorgang abkürzen? Der Stalker empfindet kaum weniger Befriedigung als der Entführer.«
»Wenn ihr mich fragt, ist er plemplem. Ja, ich weiß, was du denkst, Doc, aber lass mich ausreden. Er stellt sich alles Mögliche vor, während er seine Opfer verfolgt, und hat vielleicht den Punkt erreicht, an dem er durchdreht. Vielleicht liegt’s am Vollmond, oder er erinnert sich daran, wie er grob aufs Töpfchen gesetzt wurde, wer weiß? Jedenfalls hat ihm irgendwas zugesetzt, und er musste sie sich einfach schnappen. Er ist reif für die Irrenanstalt.«
Nach einem raschen Blick auf die Glastafel sah Kate wieder Bernie an. »Ich stimme dir darin teilweise zu.«
»Es gibt also noch Wunder!«
»Ich glaube nicht, dass er verrückt ist, aber ich denke, dass irgendetwas einen Schub bei ihm ausgelöst hat. Während er Jody im Visier hatte, ist etwas passiert, das ihn vorübergehend seine Coolness und Kontrolle gekostet hat. Also hat er die Beobachtungsphase abgekürzt und ist zur Entführung übergegangen.« Sie ging erneut auf und ab, dann stützte sie sich mit beiden Händen auf die Tischplatte.
»Und dabei hat er gemerkt, dass er sich geirrt hatte. Sie war nicht sein ›Ideal‹.« Kate zögerte. »Hat er sie deshalb so misshandelt?«
Danach herrschte eine halbe Minute lang Stille. Kate nahm wieder ihren Platz ein, als Bernie das Wort ergriff.
»Ich weiß nicht, was ihr denkt, aber ich mache mir Sorgen. Dir gefällt das nicht, Doc, aber wir können Cranham und Fairley eine Verbindung zu Molly James zum Zeitpunkt ihres Verschwindens nachweisen. Wir müssen zu normalen Ermittlungen zurückfinden. Die beiden überprüfen, Nachforschungen in ihrem Umfeld anstellen …«
Kate nickte resigniert.
Das ist nichts für mich, diese Art Arbeit.
Theorien gegen Risiken abwägen. Streng nach Vorschrift ermitteln.
Zu ermüdend.
Und was ist, wenn wir … wenn ich mich täusche?
Es wird eine nächste Jody geben.
Früher oder später .
Ihr Herz schien kurz auszusetzen. Sie hörte kaum, dass Joe sprach.
»Wie bitte, Joe?«
»Hast du irgendeine Idee, warum er die Beobachtungsphase verkürzt hat?«
Kate zuckte mit den Schultern. »Vielleicht weil er in seinem ›normalen‹ Leben zu sehr unter Stress gestanden hat? Oder … vielleicht hatte er das Gefühl, einfach handeln zu müssen. Nehmen wir mal an, eine Beziehung, in der er gelebt hat, wäre zu Ende gegangen. Oder er hatte Schwierigkeiten im Beruf. Vielleicht war die Rede von Einsparungen im Personalsektor – ein in letzter Zeit häufiges Thema –, oder ihm ist gekündigt worden. Jedenfalls hat es irgendeine … Störung seiner persönlichen Situation gegeben, die ihn unter Druck gesetzt hat.«
Joe wartete noch einen Augenblick, ob sie weitersprechen würde.
»Was hältst du von einem Besuch bei Jodys Eltern?« Er griff nach dem Telefonhörer. »Bevor ich sie anrufe, frage ich lieber oben nach. Wir wollen die Angehörigen nicht überfordern.«
Kate nickte geistesabwesend, blätterte wieder in ihrem Notizbuch.
Weshalb?
Weshalb das Stalker-Vergnügen beschneiden?
Sie starrte die Glastafel an, ohne sie richtig wahrzunehmen.
»Joe?«
»Red?«
»Leihst du mir mal deinen Terminplaner?«
Joe schob ihn über den Tisch. »Dein ist mein ganzes Leben«, sagte er leichthin.
Sie schlug den schwarzen Filofax auf und suchte den Tag, an dem Joe und sie hier in der Rose Road mit den beiden Journalisten
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