Kalter Schlaf - Roman

Fahrradhelm. Er musste zu Fuß unterwegs sein.
    Sie erinnerte sich kurz an ihre eigene Postgraduiertenzeit. Als das alte Herrenhaus Winterton noch Laboratorien, Vortragsräume und eine Bibliothek enthalten hatte. Das hatte sich alles geändert: Das Labyrinth aus hohen Räumen beherbergte jetzt Labore der forensischen Forschungsstelle, die mit Leichen experimentierte. Und der weitläufige Park, in dem früher Studenten in der Sonne gelegen hatten, auch Kevin und sie …
    »Warten Sie fünf Minuten, dann nehme ich Sie mit.«
    Julian schüttelte den Kopf, ohne Kate direkt anzusehen. »Nicht nötig. Zu Fuß sind’s nur ein paar Minuten.«
    »Widersprechen Sie Ihrem Supervisor nicht«, sagte Kate lächelnd, aber energisch.
    Ergab sich eine Gelegenheit mit ihm außerhalb der Rose Road oder der Hektik eines Tutoriums an der Uni zu sprechen, würde er ihr vielleicht erzählen, was ihn bedrückte. Und über Drogen reden. Vermutlich wusste er, wie leicht oder schwer die kleinen blauen Tabletten hier erhältlich waren. Die Sorge blieb, dass jemand in Maisies Umfeld anscheinend Zugang dazu hatte.
    Als sie zu ihrem Wagen gingen, fiel Kate die neueste Entwicklung in der Rose Road ein.
    »Haben Sie schon gehört? Dass Alain Malins im Zusammenhang mit dem Mord an Jody Westbrooke zum Verhör geholt worden ist?«
    Julian wurde langsamer. »Nein, das hab ich nicht gewusst«, sagte er nach einigen Sekunden. Kate musterte ihn aufmerksam. Sie hatte soeben den Ausdruck von Überraschung auf seinem Gesicht bemerkt. Und noch etwas anderes … Erleichterung?
    Sie gingen schweigend weiter. Kate war verwundert, weil keinerlei Widerspruch von ihm kam.
    Zehn Minuten später wurde es Kate, die in ihrem Wagen saß, bewusst, wie kurz die Strecke zum Winterton war. Ihre Bemühungen, Julian dazu zu bewegen, von seiner Arbeit bei der Spusi zu erzählen, hatten keine Informationen geliefert. Also versuchte sie es jetzt noch mal.
    »Es macht Ihnen also immer noch Spaß, dem Team anzugehören?«
    Schweigen, dann: »Ja.«
    Schneide das Thema an, dachte sie. Es liegt dir schon lange auf dem Herzen. Freiwillig äußert Julian sich nie dazu.
    »Behandelt Matt Sie ordentlich?«
    »Gut! Er ist … gut.«
    Wieder Schweigen. Kate bezweifelte, dass sie in dieser Stimmung etwas aus Julian herausbekommen würde. Sie konnte jetzt Wintertons graue Silhouette auf der linken Seite ihrer Straße sehen. Noch ein kurzer schweigender Halt, weil die kleine Brücke vor ihnen nur in eine Richtung befahrbar war, dann fuhr Kate weiter und wurde langsamer, als die breite Einfahrt auftauchte. Sie bog zwischen den imposanten Klinkersäulen ab und fuhr auf das alte Herrenhaus zu.
    Selbst bei hellem Sonnenschein sah Winterton mit dem portalartigen Eingang, den hohen Stabwerkfenstern und den vielen Giebeln und Dachgauben entschieden neugotisch aus. Soviel Kate erkennen konnte, fehlten nur die wasserspeienden Dämonen. Als sie sich dem Eingang näherte, bewunderte sie wie schon so oft den Portalbogen aus behauenem Sandstein. Der oberste Stein stellte ein wolfsähnliches Tier dar, zu dem auf beiden Seiten unaufhaltsam eine Schar kleiner Mäuse hinaufstrebte.
    Was passiert, wenn Wolf und Mäuse zusammentreffen?
    Kate hielt im Schatten des düsteren Gebäudes und sah ihren jungen Fahrgast an. Julian blieb sitzen, starrte zu Winterton hinüber und machte keine Bewegung. Wo er im Augenblick war, wusste sie nicht, aber jedenfalls nicht bei ihr.
    »Alles okay?« In dem kleinen Wagen klang Kates Stimme unerwartet laut. Julian sah kurz zu ihr hinüber, dann tastete er nach dem Türgriff. Kate fügte rasch hinzu:
    »Julian? Wenn jemand Sie ärgert, sich auf eine Weise benimmt, die Sie nicht mögen, oder versucht, Sie in etwas zu verwickeln … irgendwas, brauchen Sie es mir nur zu sagen, und ich kann …«
    »Bye, Kate.«
    Dann war er fort.
    Kate fuhr langsam am Eingang vorbei auf die Zufahrt zurück. Sie musste jetzt über ein weiteres dringendes Problem nachdenken. Was sollte sie zu Maisie sagen, wenn Mugger nicht zurückkam?
    Nun, sie ist zwölf Jahre alt.
    Wir hatten immer Tiere.
    Maisie weiß, dass alles seine Zeit hat: Geburt und Leben und …
    Armer kleiner Mugsy. Kate biss sich auf die Unterlippe, als ihr überraschend ein Kinderspiel einfiel.
    Welche Zeit haben wir, Mr. Wolf?
    Zeit, dass ich dich fresse.

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    Als Kate an diesem Freitagnachmittag in die Rose Road kam, fand sie eine Mitteilung und eine lange Liste von Joe vor. Auf ihr Fernsehinterview hin waren bisher achtzehn Anrufe