Kalter Schlaf - Roman
dann auf ihre Uhr. Phyllis würde heute früher gehen. »Hör zu, ich lasse Candice bitten, dich hier in der Rose Road abzusetzen, damit du mit mir heimfahren kannst.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, rechnete sie sich aus, dass Maisie frühestens in drei Stunden hier in der Rose Road eintreffen würde.
»Was haltet ihr davon, wenn ich Brannigan anrufe und ihn frage, ob er Zeit für einen Besuch hat?«, fragte sie.
Als niemand widersprach, griff sie nach dem Telefonhörer, den Bernie eben aufgelegt hatte, und wählte die Nummer des Fotografen.
7
Kate lenkte ihren Audi zur Musik von John Coltrane durch den dichten Verkehr auf der Broad Street – vorbei an Clubs und Bars und der riesigen grauweißen Symphony Hall, die sich in der blauen Glasfassade des Hotels Hyatt auf der gegenüberliegenden Straßenseite spiegelte. Obwohl sie nicht aus Birmingham stammte, kannte sie die Stadtgeschichte gut genug, um zu wissen, welche gewaltigen Umwälzungen es hier in den vergangenen vier, fünf Jahrzehnten gegeben hatte. Die Stadt besaß jetzt ein erstklassiges Theater, ein bekanntes Orchester und das Sadler’s Wells Ballet. Kaum zu glauben, dass dies einst das rußgeschwärzte industrielle Herz Englands gewesen sein sollte.
Kate spürte, wie ihre Laune sich besserte, als sie an modernen Gebäuden und Rinnsteinen vorbeifuhr, in denen keine Abfälle lagen, bevor sie nach links über eine kleine Brücke abbog, die einen der vielen, wieder freigelegten Kanäle der Stadt überspannte. Dann bog sie rechts in eine breite Einfahrt ab und parkte auf einer Fläche, die mit »Nur für Besucher des Symphony Courts« bezeichnet war. Nachdem sie ihre Umhängetasche aus dem Kofferraum geholt und den Wagen abgeschlossen hatte, betrat sie die geräumige Eingangshalle und drückte auf einen der nummerierten Knöpfe neben dem Aufzug, wie George Brannigan sie angewiesen hatte.
Während sie wartete, ging sie in Gedanken nochmals die wenigen Fragen durch, die sie sich für Brannigan zurechtgelegt hatte. Notiert hatte sie sich keine. Nachdem sie jahrelang Listen mit Schlüsselfragen für zeitlich beschränkte Häftlingsbesuche, die nicht wiederholt werden konnten, aufgestellt hatte, wusste sie automatisch, was in solchen Fällen gefragt werden musste. Aus diesem Grund hatte Chief Superintendent Gander auch genehmigt, dass Kate im Rahmen ihrer KUF -Tätigkeit Befragungen durchführte.
Nach einigen Sekunden hallte eine Männerstimme aus dem kleinen Lautsprecher, und dann kam surrend der Lift herab, der Kate rasch in den ersten Stock hinaufbrachte.
Oben trat sie aus der Kabine, suchte das Apartment mit der Nummer 20, klingelte und wartete. Weil in die Tür ein Spion eingelassen war, bemühte sie sich, entspannt und freundlich zu wirken. Wieder einige Sekunden später wurde die Wohnungstür von einem großen, schweren Mann Mitte fünfzig geöffnet, der ein weißes Polohemd mit dem allgegenwärtigen kleinen Polospieler auf der linken Brustseite, Slacks und Ledersandalen trug. Er bat Kate mit einer Handbewegung herein, deutete dann an, er telefoniere gerade, und verschwand, sodass sie Gelegenheit hatte, ihre Umgebung zu inspizieren.
Das Wohnzimmer war riesig. Kate trat an das Panoramafenster und blickte auf den benachbarten Kanal hinunter, dessen Treidelpfad in einen Fußweg verwandelt worden war, der zwischen Blumenrabatten verlief. Hier in der Stadt könnte man bestimmt schlechter wohnen, dachte sie. Aber mit Maisie? Mit der Katze?
Kate wandte sich vom Fenster ab, um den Raum zu betrachten. Eine ganze Wand wurde von drei riesigen abstrakten Gemälden eingenommen. Lamellenjalousien aus Naturleinen; geölter Teakboden; flauschige weiße Teppiche, auf denen als einzige Möbelstücke zwei korallenrot bezogene, lange Sofas standen. Auffällig war die Stereoanlage von Bang & Olufsen an der anderen Wand. Alles sehr geschmackvoll. Fast schon extravagant.
Sie wandte sich wieder dem Fenster zu und dachte über Brannigans Arbeit als Fotograf nach. Mit jungen Frauen, die es vielleicht schmeichelhaft fanden, von ihm fotografiert zu werden. Die vielleicht sogar von einer aufregenden Karriere als Model träumten.
Ja, genau so! Klick! Bisschen nach rechts! Klick.
Du bist ein Naturtalent, Schätzchen! Hast du schon mal daran gedacht, als Model …
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen. Ich habe einen Job am Flughafen. Die Band UB 40 kommt am Spätnachmittag hier an. Im Auftrag ihres Agenten soll ich ein paar Fotos machen, deshalb« – Brannigan
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