Kalter Schlaf - Roman
dass ich dazugehöre. Er sagt, dass ich echt Talent habe.«
Diese Aussage quittierte Bernie mit einem Grunzen.
»Vor einem Jahr hatte ich noch keine Ahnung, was ich werden wollte. Jetzt schon – irgendwas, das mit Spurensicherung und Psychologie zu tun hat. Fliege ich hier raus, kriegt mein Dad einen Anfall. Er glaubt mir nie, dass das nicht meine Schuld war. Dann streicht er mir bestimmt seine finanzielle Unterstützung, sodass ich nicht weiter studieren und nie an den Projekten mitarbeiten kann, die Harry für sein Team plant.«
Kate überlegte, was sie über Julians Hintergrund wusste. Keine Mutter. Ein Vater, der die meiste Zeit geschäftlich in Europa, den USA und Kanada unterwegs war. Julians Zuhause – wenn er hinging und dort jemanden antraf – war ein Luxusapartment im zehnten Stock am Canary Wharf in Chelsea. Privilegierte Herkunft? Die stellte Kate sich anders vor.
»Hey, fangen Sie nicht an, sich jetzt schon Katastrophen auszumalen«, beruhigte Kate ihn.
»Machen Sie sich keine Sorgen, mein Junge«, fügte Bernie hinzu. »Sie kennen doch die alte Redensart – nichts ist vorbei, bevor die dicke Frau gesungen hat. Außerdem ist Furman hier nicht der große Boss, der ist immer noch Goosey.« Das war der Spitzname von Chief Superintendent Gander. »Und der steht hinter uns.« Er wandte sich an Kate. »Furman hat dich echt im Visier.«
»Wieso eigentlich?«
»Wer weiß! Aber er gibt sich keine Mühe, das zu verbergen.«
»Pah«, sagte Kate. »Er fürchtet wahrscheinlich, dass wir aufdecken werden, wie abgrundtief schlecht seine Ermittlungen wegen Molly James’ Verschwinden waren. Dabei geht’s hier nicht um Furman, sosehr ihn das überraschen mag. Es geht um Molly James und ihre Angehörigen.«
»Dein Problem ist, dass du eine faire Welt erwartest, Doc. Lass dir von mir was sagen. Es gibt keine«, erklärte Bernie und stand vom Tisch auf.
»Ich erwarte nur, dass Leute ihre verdammte Arbeit tun«, erwiderte Kate noch immer aufgebracht.
In diesem Augenblick kam Harry Creed hereingeschlendert. Er nickte einem nach dem anderen zu, bevor er sich an Julian wandte.
»Julian, mein Lieber! Hier sind wie versprochen Ihre benoteten Arbeiten. Sie haben die Module, die ich Ihnen vorgegeben habe, ausgezeichnet bearbeitet. Sehen Sie sich die Noten an.«
Julian, auf dessen Gesicht sich widerstreitende Gefühle abzeichneten, griff nach dem schmalen Ordner, den Harry ihm hinhielt, blätterte ihn rasch durch und war dann sichtlich erfreut.
Kate, die ihn beobachtet hatte, lächelte zufrieden. Diese Ablenkung hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können.
Sie wandte sich wieder dem Tisch zu, während sie sich in Erinnerung rief, dass sie einen gut bezahlten und angesehenen Job als Dozentin hatte und aus eigenem Antrieb zur KUF gegangen war. Sie fing an, Papiere in die Schachtel zurückzulegen.
»Wenigstens wissen wir, woran wir sind. Wir wissen, mit wem wir’s aufnehmen müssen.« Sie deutete auf Molly James’ Foto an der Glaswand. »Furman ist es egal, was Molly zugestoßen ist. Ihn interessieren nur seine Aufstiegschancen, und wenn er die verbessern kann, indem er früher gemachte Fehler vertuscht, tut er das garantiert. Also: Wir werden diesen Fall aufklären.«
»Jesus, ich find’s toll, wenn du so dominant bist«, murmelte Joe, der die Liste der damals Verdächtigen studierte. »Ich fahre mal zu Fairley rüber und rede im Büro mit ihm. Mich interessiert, was Mollys Ex zu sagen hat. Anschließend statte ich John Cranham einen kurzen Besuch am Arbeitsplatz ab. Einverstanden, Leute?«
Bernie nickte zustimmend, während auch er seinen Papierstapel in die Schachtel zurücklegte. »Molly James’ Angehörige müssen von der DNA -Übereinstimmung erfahren, bevor die Medien Wind davon bekommen. Ich fahre am besten gleich zu ihrer Mutter.«
»Soll ich mitkommen, Bernie?«, fragte Kate.
»Danke, nicht nötig, Doc. Man weiß nie, wie’s ausgeht, wenn nach so vielen Jahren eine neue Nachricht kommt. Ich nehme jemanden vom Kriseninterventionsteam mit.« Er griff nach dem Telefonhörer.
Harry ging hinter ihm vorbei und machte Kate ein Zeichen, ob sie etwas trinken wolle. Sie nickte und sagte lautlos: »Kaffee.«
In ihrer Umhängetasche begann ihr Handy zu klingeln. Sie nahm es heraus und meldete sich.
»Maisie?«
»Mom, mein Leistungskurs Mathe fällt heute aus. Chelsey hat um vier eine Ballettstunde, aber ihre Mom kann mich zu Hause absetzen.«
Kate zögerte, rieb sich unschlüssig die Stirn, sah
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