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Kalter Schlaf - Roman

Kalter Schlaf - Roman

Titel: Kalter Schlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A J Cross
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Abteilung Autopsie lag und nicht mehr heimkommen konnte.
    Als Kate ans Fenster trat, dachte sie an Mollys sorglosen Shoppingtrip mit ihren Freundinnen ins Einkaufszentrum. Ein Trip, der für Molly mit Panik und Schmerzen geendet haben musste: mit Gewebeband gefesselt, in Handschellen gelegt, ihr Gesicht unter einer Maske verborgen.
    Sie drückte die Stirn an das warme Glas. Nicht mit ihren Freundinnen. Die waren nach Hause gekommen. Sie sah auf den sauber gepflasterten Vorgarten hinab. Wie hatte der Bauunternehmer, der hier gearbeitet hatte, gleich wieder geheißen? Alan Malins.
    Kate stellte sich eine Szene in jenem längst vergangenen Sommer vor. Vielleicht hatte Molly bei offenem Fenster zugehört, wie der Bauunternehmer und seine Leute sich während der Arbeit unterhielten und Witze rissen? Vielleicht hatte sie sich hinausgebeugt und mit ihnen geredet? Junge Männer, lachend, sonnengebräunt, ihr Chef ein …
    »Tee.« Dianne James’ Stimme erklang von unten herauf.
    Nach einem letzten Rundblick verließ Kate das Zimmer und ging in die Küche im Erdgeschoss zurück. Dianne saß am Küchentisch und rauchte wieder. Als Kate sich setzte und ihre Tasse an den Mund hob, begann die andere Frau so unerwartet heftig zu sprechen, dass Kate ein wenig von dem Tee verschüttete.
    »Auch nach all diesen Jahren komme ich noch immer nicht darüber hinweg. Sie ist gewarnt und gewarnt worden, seit sie ein Kind war – ›Geh mit niemandem mit, den du nicht kennst, ganz gleich, was er sagt.‹« Sie sah zu Kate hinüber. »Ich weiß, was Sie jetzt denken, aber ich sage Ihnen, Dr. Hanson, meine Tochter, meine Molly, wäre mit keinem Fremden mitgegangen. Und wenn er es noch so geschickt angefangen hätte.« Sie presste die Lippen zusammen und verstummte.
    Kate wollte darauf antworten. Wollte sagen, wie leicht jemand, jeder, zum Opfer werden konnte. Aber sie verzichtete darauf. Ein Blick in Dianne James’ Gesicht genügte, um ihr klarzumachen, dass dieser Versuch sinnlos gewesen wäre.
    »Die meisten Eltern wollen wissen, wo … und was geschehen ist, nicht wahr?«, fragte Dianne leise. Sie sah in den Garten hinaus. »Ich habe das nie getan. Weil es bedeutet hätte, dass ich hätte verarbeiten müssen, was geschehen war … obwohl ich mich nicht einmal mit ihrem Verschwinden abfinden konnte.« Ihr Blick kehrte langsam zu Kates Gesicht zurück. »Ist das falsch?«
    Kate schloss in Gedanken resolut die Tür zu den in der Abteilung Autopsie liegenden, sterblichen Überresten Mollys.
    »Nein. Es ist nicht falsch«, sagte sie ruhig. In der nun folgenden kurzen Stille warf sie einen Blick in ihr Notizbuch, um sich an den Fakten zu orientieren. »Mrs. James, können Sie mir die Namen der beiden Freundinnen sagen, mit denen Molly zum Shopping gegangen ist?«
    Dianne konzentrierte sich wieder auf sie. »Jessica Barnes und Samantha …« Sie verstummte. Als Kate aufsah, spiegelten sich auf dem Gesicht der anderen Frau alle möglichen Emotionen. Sie wartete geduldig. Einige Sekunden später fuhr Dianne fort: »… Wellings. Diese Namen erinnern mich wieder an damals. An ihren letzten Tag. Molly war glücklich. Vielleicht ein bisschen unzufrieden, weil sie als Studentin mit wenig Geld auskommen musste, aber das war alles.« Erneut lastendes Schweigen, bevor sie fragte: »Sie wollen vermutlich ihre Telefonnummern?«
    Als Kate nickte, stand Dianne auf, ging in die Diele hinaus und kam mit einem in Leder gebundenen, kleinen Adressbuch zurück.
    »Ich habe nur die Telefonnummern ihrer Eltern, bei denen sie damals gelebt haben. Ich habe schon länger nichts mehr von Jessica oder Sam gehört, deshalb sind die Nummern vielleicht nicht mehr aktuell.«
    Sie las die beiden Telefonnummern vor. Kate schrieb sie mit, dann sah sie zögernd zu Dianne James hinüber.
    »Hatten Sie … einen Verdacht, was passiert sein könnte, als Molly verschwunden war?«
    Die ältere Frau blies Rauch an die Decke, dann drückte sie ihre Zigarette aus, bevor sie mit ruhiger Stimme antwortete: »Nein. Was man heutzutage häufig sieht – hier genauso wie in Birmingham –, dass junge Frauen bei warmem Wetter halbnackt herumlaufen … das war nicht meine Molly. Sie war ein braves Mädchen. Anständig. Und trotzdem ist sie verschwunden. Am helllichten Tag. Darüber komme ich nicht hinweg.« Sie schwieg einige Sekunden lang. »Jason Fairley habe ich übrigens nie leiden können. Das hat Molly gewusst. Er natürlich auch. Meiner Überzeugung nach war er zu oberflächlich.

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