Kalter Schmerz
erwidern, doch meine Wut verflog ein wenig angesichts seines Verhaltens.
»Okay, ich nehm’ einen.«
Er lächelte und ging auf unsicheren Beinen in die Küche.
»Wie heißt du eigentlich, Mann?«, fragte er. »Hab dich hier noch nie gesehen.«
»Nic.«
»Cool. Ich bin Joe.« Er goss Wasser in einen weiteren kaputten Becher, drehte den Teebeutel darin und blinzelte in das schwache durchs Fenster fallende Licht. »Arbeitest du mit Kyle? Du siehst älter aus als er.«
»Nein.« Ich schielte in den Flur, auf die Brandlöcher in den Wänden. »Muss ja gestern Abend die Mörderparty gewesen sein.«
»Ja, Kyle weiß echt, wie man Party macht. Keine Ahnung, woher er die Kohle hat, dass er immer so viel raushaut. Ich kann mir momentan kaum zehn Gramm leisten, bin total blank.«
Er reichte mir den Tee.
»Koks?«, erkundigte ich mich, da mir Marks kurze Beschreibung von Kyles Tätigkeit einfiel.
Der Junge grinste. »Ach, alles Mögliche. Koks, E, Acid, Shore,was du willst. Echt Wahnsinn, der macht so eine Party wie gestern ungefähr drei, vier Mal die Woche.«
Wieder schaute ich in den Flur. Das war zu viel, als dass ein durchschnittlicher Dealer es regelmäßig hätte bezahlen können.
»Warum suchst du ihn überhaupt?«
Joe klang, als wäre ihm die Antwort mehr als schnuppe. Er sah harmlos genug aus, um vertrauenswürdig zu sein.
»Es geht um ein Mädchen namens Emma Dyer«, sagte ich. »Kennst du sie?«
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ah, die – ja, Kyle hat sie oft mitgebracht. Mann, die war heftig drauf, hab noch nie in meinem Leben ein Mädchen gesehen, das so viel snieft. Hab sie aber schon länger nicht mehr gesehen. Alles klar mit ihr?«
»Sie ist tot.«
Er rieb sich seine tränenden Augen und brauchte eine Weile, bis er verstand, was ich gesagt hatte. »Fuck, Mann … Fuck, du bist aber nicht von der Bullerei, oder?«
»Nein, ich versuche nur, Kyle zu finden, damit ich mit ihm über Emma reden kann. Ich glaube, er war der Letzte, der sie lebend gesehen hat.«
»Oh Fuck, Mann, Fuck …« Wieder rieb er sich heftig die Augen und war auf der Stelle nüchtern. »Glaubst du, er hat sie umgebracht, oder was?«
»Ich weiß es nicht, das versuche ich ja herauszufinden. Aber könntest du mir helfen? Mir vielleicht den Namen von jemandem geben, der mit Kyle zusammenarbeitet, damit ich mit dem reden kann?«
Er barg den Kopf in den Händen. »Hm … Wenn du einen suchst, der weiß, wo Kyle stecken könnte, dann müsstest du mit Matt Masters sprechen. Er ist nicht hier, meistens nicht, aber erwohnt nur ein paar Häuser die Straße runter in Nummer drei. Er kannte Emma ziemlich gut, sie war mit beiden von ihnen befreundet.«
»Dealt er auch?«
»Ja. Aber fast nur mit Gras.«
»Danke.« Ich lächelte. »Wie heißt du noch mal?«
»Joe, aber alle nennen mich Meds, weil ich mir ständig Spritzen setzen muss.«
»Diabetes?«
»Ja. Ist ätzend, weil, so was da kann man nicht oft machen.« Er wies zurück in Richtung Wohnzimmer. »Nicht mal richtig viel trinken. Ja, aber alle meine Kumpel nennen mich Meds.«
Ich stellte meinen Becher an der Seite ab. »Danke für den Tee.«
»Kein Problem, Mann.«
»Ach, und könntest du das für dich behalten, dass du mit mir gesprochen hast? Ist ein bisschen heikel.«
»Klar, von mir aus.«
»Danke, das war eine große Hilfe. Halt dich bloß fern von den harten Sachen, ja? Das Zeug macht die Birne kaputt.«
Er erwiderte mein Lächeln mit einem Anflug von Großspurigkeit. »Ja, ein Kumpel von mir sagte immer, wenn man etwas missbraucht, missbraucht es einen zurück.«
»Dein Kumpel hat sehr weise gesprochen.«
»Nicht wirklich – er ist tot.«
Betretenes Schweigen. Ich fragte mich, ob Clare als Mädchen so ähnlich gewesen war wie ihre Tochter, ob solche Narben immer schon in Begleitung von auf der Kommode verstreutem Kokain entstanden waren, in Begleitung von leeren Bacardiflaschen und dem abgestandenen Geruch von zu viel Sex und spermabefleckten Matratzen.
»Wie alt bist du?«, fragte ich, ohne zu wissen, warum es mich interessierte.
»Siebzehn … Mein Kumpel, der hieß Dave. Hat sich letztes Jahr hops genommen.«
Sein sachlicher Ton machte mir eine Gänsehaut. Zumindest manche Kinder hatten den Luxus einer normalen Kindheit verdient, fernab von diesem ganzen Scheiß.
»Das tut mir leid.«
Ein anderes Haus, eine andere Küche, eine andere Beileidsbekundung.
»Schon gut, Mann. Ich denke, dass er das so wollte. Angeblich war es ein
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