Kalter Schmerz
von lieb, das ist wirklich nicht mehr normal, ehrlich. Also geh immer auf Nummer sicher – nicht so, wie du jetzt denkst –, und wir sehen uns, wenn du wieder hier bist.« Sein Blick huschte hoch, er feixte. » So wird das gemacht.«
Ich dachte daran, dass er Emma auf dem Handy angerufen hatte, immer und immer wieder, damit er ihre Stimme hören konnte.
»Ach, sei leise!«, hörte ich Clare sagen.
»Ich bin bekannt dafür, dass es beim ersten Mal sitzt.«
»Haha!«
Ich konnte nicht länger zusehen, klappte den Laptop zu und stellte ihn neben meinem Bett auf den Boden. Eine Weile betrachtete ich die Zeichnung, aber sie inspirierte mich zu nichts. Ich knipste die Lampe aus, auch wenn es mir sinnlos vorkam – ich bezweifelte, dass ich schlafen können würde.
Mein Kopfkissen roch nach Qualm.
Die Kneipe hatte keine Fenster, und abgesehen von den schwachen Kerzen spendete das grüne Neonschild in der Ecke das meiste Licht. Sie erinnerte mich an die windigen Bars, die man mitten in Amerika fand. In einem seltsamen Nebenzimmer sah ich einen weißen Flügel und einen Kamin mit zwei altmodisch gemusterten Sesseln.
Ich setzte mich an die Theke, aber es gab keinen Barkeeper.Als ich mich umschaute, stand einer der beiden Männer auf, die auf der anderen Seite des Raums hockten, und stellte sich hinter den Tresen. Er hatte einen holländischen Akzent und trug eine braune Weste.
»Was wollen Sie?«
»Nur einen Whiskey, einen irischen, wenn Sie einen haben.«
»Mal sehen …« Er drehte sich um und suchte das Spirituosenregal ab.
Während er suchte, ergriff ich die Gelegenheit, den Rest der Kneipe abzuchecken. Der Barkeeper hatte rechts von mir bei einem Typen mittleren Alters in einem zerknitterten weißen Hemd gesessen, zu meiner Linken spielten zwei Frauen Billard.
»’nen Doppelten?«
»Bitte.« Ich holte meine Brieftasche heraus, er reichte mir das Glas. »Wie viel?«
Er zuckte mit den Achseln. »Sagen wir fünf Pfund? Legen Sie’s irgendwo hin.«
»Irgendwo? Nicht … an die Kasse?«
»Mann, ich arbeite hier nicht.« Mit gleichgültigem Gesichtsausdruck streckte er die Arme aus und kehrte zu seinem Kumpel zurück.
Ich ließ eine Fünf-Pfund-Note neben der Kasse liegen.
Im Hintergrund lief Tschaikowsky.
Als ich mich auf dem Barhocker mit dem Rücken zur Theke drehte, waren die beiden Billard spielenden Frauen verschwunden. Ich fragte mich, ob jemand am Flügel saß, rutschte vom Hocker und stellte mich in den Durchgang, der die beiden Räume miteinander verband.
Zwischen den Sesseln tanzte Mark mit Clare, einen Walzer. Sie trug ihr rotes Ballettkleid.
Ich wollte einen Schluck Whiskey trinken, hatte aber keinen mehr in der Hand.
»Man darf keine Getränke mit nach draußen nehmen«, sagte eine vertraute Stimme. »Ist sie nicht wunderschön?«
Ich schaute zur Seite, und der Kumpel des Mannes mit der braunen Weste stand neben mir. Erst aus der Nähe erkannte ich, dass es Mackie war.
»Was … was machst du denn hier?«, fragte ich.
»Das ist nicht die Wirklichkeit«, sagte er lächelnd. »Vergessen?«
Ich sah Mark und Clare zu, die sich im Kreis drehten, drehten und drehten …
»Sie ist wunderschön.«
»Hm«, stimmte ich zu.
»Schade, dass man ihr Gesicht nicht mehr sehen kann.«
Ich schaute genauer hin. Clares Gesicht war eine leere graue Fläche. Keine Gesichtszüge, keine Konturen. Sie hatte die Haut einer Statue, wie dieses Teil in ihrem Wohnzimmer.
Als ich mich zu Mackie umdrehte, blickte ich auf die Stammesmaske mit den Zahnlücken.
»Scheiße!«
Ich stieß ihn von mir weg, und sein Kopf baumelte vom Hals herab. Er stolperte rückwärts, seine Halsschlagader und die Stimmbänder waren durchtrennt und freigelegt, pumpten Blut auf sein Hemd. Mit Mühe nahm er seinen Kopf und setzte ihn sich wieder auf die Schultern. Seine Stimme hallte hinter der Maske.
»Gott«, sagte er leicht genervt. »Jetzt guck dir an, wozu du sie gebracht hast.«
Clare stand direkt vor mir, ich konnte wieder ihr Gesicht erkennen.
Ich wich zurück, wollte sie von mir stoßen, doch sie packte mich am Kragen, wirbelte mich herum und warf mich rücklings zwischen die Sessel auf den Boden. Von dort konnte ich unter den Flügel sehen: Weiße Füße drückten auf die Pedale.
Mark war fort.
Clare stand über mir. »Ich hab’s so satt, zu ihrem Lied zu tanzen.«
Ich sah, wie unter dem Flügel Blut an den Beinen hinab auf die nackten Füße lief.
»Nein, bitte …« Ich wich zurück. »Ich hasse diesen scheiß
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