Kalter Schmerz
lassen … Haha, nein, wirklich, das ist mir echt passiert! Ich kam gerade nach Hause, hatte tausend Einkaufstüten in den Händen und stellte dich im Tragesitz auf dem Küchentisch ab und …« Sie zögerte. »Es geschah wie in Zeitlupe, ich kam nicht mehr rechtzeitig bei dir an … Du bist einfach … runtergefallen, und dann lagst du verkehrt herum auf dem Boden.«
Die Festplatte wurde heiß, ich schob den Laptop auf meinen Knien herum.
»Du verstehst wahrscheinlich nicht mal, warum das für mich so wichtig ist, aber wenn du mal Kinder hast … ’tschuldigung« – sie hob die Hände – » falls du mal Kinder haben solltest … dann wirst du das verstehen. Ich dachte, ich würde umkippen oder heulen und wahnsinnig werden, alles gleichzeitig … Aber dir war nichts passiert. Es war so dumm von mir, dir ging’s gut.«
Der Film war schwerer anzusehen als der aus dem Tanzstudio.
Ihre Worte wurden unsicher, und sie hob den Blick über die Kamera und lachte, ein ungewohntes Geräusch.
»Dein Dad guckt mich schon an und denkt bestimmt: O Gott, gleich weint sie los … Aber es stimmt. Ich hatte solche Angst, dass ich dich verlieren würde und … Wahrscheinlich erzähle ich dir diese Geschichte, weil ich dir sagen will, dass ich dich lieb habe … mehr als alles andere, du bist das Beste in meinem Leben, mein Schatz. Jetzt verdrehst du vielleicht die Augen und sagst, Gott, die liest zu viele Liebesromane, das sagst du ja immer, aber es stimmt. Und ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun würde. Also … einen tollen Geburtstag wünsche ich dir, und wenn du zurückkommst, we’re gonna have a party , ja?«
Sie wischte sich die Augen und blickte wieder über die Kamera.
»Okay … jetzt du? War das in Ordnung?«
Der Film hielt an, sie lächelte immer noch.
Ich zog den Positionsanzeiger zurück und hörte, wie sie es noch einmal sagte:
… weil ich dir sagen will, dass ich dich lieb habe … mehr als alles andere, du bist das Beste in meinem Leben, mein Schatz …
Ich legte die Hand über die Augen.
Und ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun würde. Also …
Was Pat mir in diesem Club nahe der Victoria Station gesagt hatte, leuchtete ein. In meinem Job gab es niemals ein Vorher- und ein Nachher-Bild. Ich war nie in der Lage gewesen zu sehen, wie Menschen von einem Ort in ihrem Leben zum nächsten kamen. Nicht wie hier.
Jetzt du? War das in Ordnung?
Alles, was ich in ihrem Gesicht sehen konnte, würde sie niemals wieder empfinden. Sie hatte die Tür geöffnet, ich hatte ihrdie Hand gegeben und gedacht, ihre Augen seien voller Traurigkeit … Der Kontrast zu der Frau aus dem drei Monate alten Film hätte nicht größer sein können.
Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen, ja? Es geht ihr bestimmt gut.
Das hatte ich an jenem Abend zu ihr gesagt, bevor ich gegangen war. Diesen Scheiß hatte ich tatsächlich von mir gegeben. Ich konnte nicht fassen, wie lächerlich das geklungen haben musste.
Dann würde sie sich melden.
Ich wusste, dass ich ihnen mein Beileid ausgesprochen hatte, daran konnte ich mich erinnern. Doch ich hatte es nicht ernst gemeint und gar nicht verstanden, was ich sagte.
Es war nach halb drei in der Nacht, und ich konnte mir die letzte Einstellung dieses Videos nicht länger ansehen.
Ich klickte auf das nächste.
Jetzt saß Pat auf der Couch, er trug wie immer einen Anzug, sah aber deutlich jünger aus, die Trauer hatte ihn noch nicht altern lassen. Er runzelte die Stirn, das Objektiv wackelte leicht, dann lachte er. »Clare, das ist eine ganz simple Webcam, keine Concorde … Guck mal … da, da , da drauf drücken!«
Clare lachte, das Bild wurde scharf und wieder unscharf. »Okay, okay, ich hab’s!«
»Geht es?«
»Ich hab’s.«
»Gut.« Pat hielt den ausgestreckten Daumen in die Kamera und grinste sarkastisch. »Hey, M&M, wie sieht’s aus? Ich glaube, deine Mutter hat die Speicherkapazität schon fast ausgeschöpft, deshalb fasse ich mich lieber kurz … ähm, herzlichen Glückwunsch! Sweet little sixteen … aber bitte ohne den Sex. Nein, im Ernst.«
Ich fühlte mich wie der größte Schwachkopf der Welt. Es warso viel einfacher gewesen, ihn für das zu verachten, was er in meinen Augen war, als ihn wegen dem zu bemitleiden, was er verloren hatte.
»Egal, M&M, du fehlst uns total. Ehrlich, ich hab so ein Motorrad mit Flammen-Airbrush gekauft und so, also komm besser schnell nach Hause, hörst du? Bevor ich Bergsteigen gehe oder so was … Geiles Teil. Ich habe dich so was
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