Kalter Schmerz
bin diejenige, die spinnt?«
»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte ich.
»Ich wusste, dass du es verstehst, wenn ich es nur richtig erkläre.«
»Wie lange machst du … das schon?«
»Schon immer, das ist einfach …« Sie zuckte mit den Schultern. »Das mache ich einfach so.«
»Warum hast du damit angefangen?«
»Als sie mir sagten, dass ich niemals Profi werden könnte. Ich hab noch ein bisschen weitertrainiert, dann wurde ich schwanger mit Emma und heiratete, und das war’s.« Als ich nicht antwortete, schaute sie zu mir hoch und lachte. »Nein, wirklich. Das ist die ganze Geschichte.«
»Also hat Pat … nie …?«
»Nein.« Kurz wirkte sie traurig. »Nein, er würde mir nicht mal ein Haar krümmen, wenn ich ihn anflehen würde. Aber er lässt die Leute einfach denken, was sie wollen. Ich schätze, das ist einfacher, als es zu erklären. Sie … Emma fand es immer furchtbar, dass die Leute das dachten. Ich schätze, das muss ich mir vorwerfen lassen.«
»Und … als er dich krankenhausreif schlug …?«
»Hat meine Mutter dir das erzählt?«, fragte sie mit angedeutetem Lächeln. »Nein, ich … ich bin die Treppe runtergefallen. Na ja, ich bin nicht aus Versehen gefallen, ich … wollte es sozusagen. Ist schon gut, du kannst mich ruhig durchgeknallt finden. Wahrscheinlich ist es durchgeknallt … schätze ich.«
Ich kam mir dermaßen dumm vor wegen allem, was ich geglaubt hatte, wegen all der Szenarien, die ich innerlich entworfen hatte.
Sie sah kleiner aus, als sie war, so wie sie da unten am Tischbein lehnte.
Ich durchquerte die Küche und setzte mich mit einem Seufzer neben sie auf den Boden.
»Es tut mir leid«, sagte ich.
»Das ist doch wohl nicht dein Ernst!« Sie schnaubte verächtlich und rieb sich die Augen. »Ich wollte nichts anderes als einmal kurz nicht daran zu denken. Es fühlt sich so gut an, einmal nicht daran zu denken … Mir geht’s gut, nur … lass mich mal einen Moment in Ruhe.«
Mehrere Minuten vergingen, sie rückte näher an mich heran, vergrub das Gesicht in meiner Halsbeuge. Ich wollte nicht gehen. Ich wollte das Blut nicht abwaschen.
30
Brinks’ Haus sah noch tragischer aus als sonst. Mir war nicht klar, warum, vielleicht lag es am Wetter oder an der erheiternden Nachricht, die er mir hinterlassen hatte. Wenn ich daran dachte, musste ich immer noch lachen. Als ich Clares Haus verließ, bekam ich eine SMS von Mark, in der nur stand:
ICH MUUUUUUSS DICH SPRECHEN! HAHA M XXX
Meine Haut fühlte sich rau an. Ich wusste, dass ich eigentlich über Felix Hudson nachdenken sollte, aber ich hatte nur den einen Gedanken: Wann ich wieder zu Clare konnte. Irgendwie hatte ich geglaubt, wenn ich mit ihr schliefe, würde alles ein Ende haben, würde es mir leichter fallen, nicht mehr über jede Kleinigkeit ihres Lebens nachzugrübeln, würde ich sie nicht besser, in- und auswendig kennen lernen wollen. Doch es hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Jetzt war die Zeit, in der ich sie nicht berühren konnte, nur noch ein Zwischenspiel für mich. Zeit zum Totschlagen, bis ich einen neuen Grund fand, sie zu sehen.
Aus Gewohnheit ging ich zum Gartentor, durch den Garten und betrat das Haus durch die Hintertür. Brinks saß am Küchentisch und schaute nicht hoch, als ich eintrat.
»Nicht mehr nötig«, sagte er und blies in eine Bierflasche. »Sie ist weg.«
Ich machte die Tür zu und registrierte, wie dünn er geworden war. »Tut mir leid.«
»Nein, tut es nicht.«
Genervt, dass ich nicht sofort zur Sache kommen konnte, stellte ich meine Tasche ab. »Was ist passiert?«
»Sie hat auf dem Revier angerufen … Man hat ihr gesagt, ich sei nicht da.«
»Mensch, Geoff, warum hast du es ihr nicht einfach erzählt?«
»Ha, wie macht man das denn, verdammt noch mal? Ach, hey, Süße, ich wurde gefeuert, und ich komme nur dann nicht in den Knast, wenn ich Leute verpfeife, die sogar noch gefährlicher sind als meine Kollegen … Ach ja, frohe Weihnachten !«
»Aber die Wahrheit wäre ihr doch bestimmt lieber gewesen, oder? Vielleicht wäre sie geblieben?«
»Na, du hast gut reden, was? Schweinchen Oberschlau.« Er wies auf den Kühlschrank. »Wo du gerade stehst, gib mir noch ein Bier, ja?«
»Hast du noch nicht genug getrunken?«
»Besteht dein Lebenssinn darin, mich zu quälen?«
»Schon gut, Mann … schon gut.«
Ich ging zum Kühlschrank, holte eine Flasche heraus und reichte sie ihm. Viel zu essen war nicht darin – ein paar Eier und Obst, das schon angegammelt
Weitere Kostenlose Bücher