Kalter Schmerz
bekommen. Irgendjemand hat mich angeschwärzt, hat gesagt, wo man gucken soll, hat Fotos geschickt. Ich hatte so einen … Riesenschiss davor, im Knast zu landen, dass ich nicht mal drüber nachgedacht habe.«
Sobald von Fotos die Rede war, musste ich an Hudson denken, auch wenn die Vorstellung lächerlich war.
»Letztens bekam ich abends zu Hause einen Anruf«, fuhr er fort. »Seinen Namen hat er nicht genannt, aber es war komisch … er behauptete, du hättest mich verpfiffen.«
Sein Blick war immer noch aufs Bier gerichtet.
Ich überlegte, was ich sagen konnte, war aber sprachlos.
»Deshalb wollte ich mir dir reden.«
Es wäre mir lieber gewesen, wenn mir etwas Interessanteres eingefallen wäre, etwas Überzeugenderes, doch alles, was ich herausbrachte, war: »Was?«
Die Flasche zersprang auf meiner Stirn.
Ich fiel auf Hände und Knie, konnte nichts sehen, hustete, würgte, es kam nichts heraus. Mein Kopf war purer weißer Schmerz. Brinks schrie mich an, aber ich konnte ihn nicht verstehen.
In meiner Tasche hatte ich eine Waffe, aber ich wusste nicht, wo meine Tasche war.
Ich versuchte aufzustehen, und Brinks schlug mir ins Gesicht.
Blinzelnd lag ich auf dem Rücken, mir war noch schwindelig von dem Schlag mit der Flasche.
Brinks fluchte, lief auf und ab, hin und wieder sprang mich ein Wort an, doch nichts ergab Sinn.
» Verdammt … Leben … Becher … verflucht …«
Ich trat ihm gegen das Bein und kroch in den Flur, bis ich wieder ein bisschen Kraft in den Armen hatte.
Meine Tasche …
Als es mir gelang, auf die Knie zu kommen, holte Brinks mich ein und trat mir mit voller Kraft in den Rücken. Ich drehte mich um und rang mit ihm, seine Hände um meinen Hals, die Zähne gebleckt, grau und gespickt mit schwarzen Plomben.
Seine Finger gruben sich in meine Halsschlagader, mein Herz pochte gegen seinen Griff an.
Ich ließ seine Handgelenke los und packte seinen Kopf, drückte ihm die Daumen in die Augen. Heulend griff er nach meinen Fingern, und ich war frei. Mit den Händen schob ich mich zurück, kam wieder auf die Knie, wollte aufstehen, aber sackte seitlich gegen die Treppe.
Mein Herz schlug wie wild, pumpte alles Leben aus meinen Beinen.
Du sitzt in der Klemme . Es war keine Stimme, sondern eher ein Bewusstsein, das sich in meinem Kopf breitmachte. Du sitzt in der Klemme .
Ich griff nach der Haustür, doch sie war verschlossen, Brinks schlug mich mit der Stirn dagegen. Blut lief an meinem Nasenrücken herunter. Er packte mich von hinten an der Jacke und schleuderte mich rücklings auf die Treppe. Ich hätte es mit ihm aufnehmen können … Hätte ich, wenn nicht die verdammte Flasche gewesen wäre.
»Mein Leben zerstören und warum ? Warum?«, schrie er mich an.
Mit zitternden Armen schob ich mich die Treppe hoch, fort von ihm, sechs Stufen weit, dann holte er mich ein, und ich trat ihn erneut. Ich wusste nicht, wo ich hinwollte, bloß weg, nach oben.
Ich schaffte es bis zum ersten Absatz. Es ging noch weiter hinauf und um die Ecke. Ich konnte nicht mehr. Meine Arme gaben nach. Wenn ich jetzt ohnmächtig würde, wäre ich tot.
Ich war tot. Der letzte Schlag gegen die Tür war es gewesen.
Verdammt traurig, dass ich das nicht hatte kommen sehen.
Brinks würgte mich.
Ich kniff die Augen zu, versuchte zu atmen, wollte nicht, dass seine abartige Visage das Letzte war, was ich sah.
Würde er mit meiner Leiche tun, was ich mit so vielen Leichen getan hatte? Würde Mark ihn aufspüren können? Wahrscheinlich nicht. Wer wusste das?
Seine Hände lösten sich von meiner Kehle, es war, als würde eine Tonne Gewicht von meiner Brust gehoben. Ich merkte, dass ich atmete, Luft drängte in meine Lunge herein und wieder hinaus, doch als ich die Augen öffnete, sah ich nur den unteren Teil eines Bildes, das über dem Treppenabsatz an der Wand hing.
Es war das erste Bild, das ich in diesem Haus sah.
Mit dem Gefühl, eine Chance bekommen zu haben, hievte ich mich auf die Ellenbogen.
Brinks lag am unteren Ende der Treppe, die Beine seltsam abgewinkelt, wie eine zertretene Spinne.
Über mir stand jemand, ich konnte ihn aus dem Augenwinkel sehen.
Ich war nicht wach genug, um richtig schockiert zu sein. Ich neigte den Kopf, wollte genauer hinsehen. Als ich mich drehte, roch ich Chloroform, sah eine Brille, dann wurde mit einer Woge der Erleichterung alles dunkel.
31
Das erste Gefühl, an das ich mich erinnern konnte, als ich wieder zu mir kam, war Enttäuschung. Das, und eine furchtbare
Weitere Kostenlose Bücher