Kalter Süden
gedreht war, der in hohem Tempo über das offene Meer fuhr. Im vorderen Teil standen jede Menge viereckige Kisten, und im hinteren Teil konnte man mehrere Hundert runde Kraftstoffkanister sehen. Dann kehrte die Kamera wieder zu dem Farbigen zurück, und der Bildschirm wurde dunkel.
»So fröhlich ist der jetzt nicht mehr«, sagte Niklas Linde und steckte das Handy wieder in die Tasche. »Was du vorne im Bug gesehen hast, waren drei Tonnen Hasch. Er und der andere, der ihn gefilmt hat, sitzen inzwischen in Granada hinter Gittern.«
Er ließ ihr Knie los.
Sie lachte.
»Die EU hat einen Deal mit der marokkanischen Regierung abgeschlossen«, sagte Knut Garen. »Der Staat hat Millionen Hektar Hanfanpflanzungen vernichtet. Was meinen Sie, was das für die Familien bedeutet, die vom Anbau gelebt haben? Tja, die haben nichts mehr zu essen. Was machen sie also?«
Er breitete die Arme aus und lehnte sich zurück.
Annika verstand, dass das keine Frage war, sondern eine dramatische Geste, und wartete stumm auf die Antwort.
»Die Plantagen sind weg, aber alles andere ist noch da.«
Er beugte sich wieder nach vorn.
»Die ganze Logistik ist vollkommen intakt: Personal, Verkäufer, Aufkäufer, Transportunternehmen, Boote, Schiffe, Fahrzeuge, Container, Kontaktnetze, Vertriebswege … Also, was machen sie?«
»Sie transportieren und verkaufen etwas anderes«, antwortete Annika.
»Sie transportieren und verkaufen Kokain«, sagte der Polizist. »Marokko und die Westsahara sind zu Transitländern für den Kokainhandel geworden, und hier, genau da, wo wir jetzt sitzen, ist die Tür zu den Kunden. Das gesamte Kokain kommt von den Kokaplantagen in Südamerika. Praktisch alles geht auf dem Weg zu den Märkten in Europa hier durch.«
»Wie viel wird beschlagnahmt?«
»Ungefähr zehn Prozent, das sind im Schnitt neunzig Kilo pro Tag. Man schätzt, dass täglich eine Tonne Kokain über Spanien nach Europa schwappt.«
»Wahnsinn«, sagte Annika und schrieb mit.
Knut Garen beugte sich zu ihr.
»Und wissen Sie, was das größte Problem der Drogenkartelle ist?«
Annika wartete.
»Was?«, fragte sie, als nichts kam. »Den Zoll bestechen? Schmuggler finden? Neue Märkte erschließen?«
Knut Garen schüttelte den Kopf.
»Das ist alles ganz einfach. Am schwierigsten ist es, das ganze Geld loszuwerden.«
Annika sah ihr Gegenüber misstrauisch an.
»Schwierig?«, sagte sie. »Geld auszugeben?«
»Die Geldwäsche ist der komplizierteste Teil am Geschäft der Drogenbarone. Und wir werden es ihnen noch schwerer machen. Deshalb gibt es Konferenzen wie diese.«
Der Polizist aß die letzte Knoblauchgarnele und sah auf seine Armbanduhr.
»Ich muss wieder rauf nach Granada«, sagte er. »Wenn Sie sonst nichts mehr haben …?«
Annika blätterte in ihren Notizen. Es gab noch einiges, was sie gern gefragt hätte, aber Garen musste los, und ihr schwirrte der Kopf. Sie lächelte den Norweger an.
»Herzlichen Dank«, sagte sie. »Das waren ganz unschätzbare Infos. Jetzt wüsste ich nur noch gern, ob Sie einen Tipp hätten, welche Leute ich interviewen könnte. Ich würde zum Beispiel gerne Kontakt zum Anwalt von Jocke Martinez bekommen …«
»In der Sache habe ich mich schon ein bisschen umgehört«, sagte Niklas Linde. »Lass uns das anschließend besprechen.«
»Bestens«, schloss Knut Garen und stand auf. »Dann lasse ich euch jetzt allein.«
Er küsste Annika auf beide Wangen und nahm Kurs auf den Ausgang.
»Ich schätze mal, dass ich die Rechnung übernehme«, sagte sie.
Foto-Lotta war völlig aufgelöst. Sie hatte Annika mindestens hundertmal angerufen, aber irgendwas stimmte mit dem Handy nicht, das blöde Ding hatte keine Verbindung, immer hatte sich nur eine spanische Stimme gemeldet und irgendwas Unverständliches gesagt.
»Du musst + 46 drücken, bevor du meine Handynummer wählst, und außerdem musst du die Null bei der Vorwahl weglassen«, erklärte Annika.
Die Fotografin starrte sie an.
»Für wie dumm hältst du mich eigentlich, sag mal? Natürlich habe ich zuerst die Landesvorwahl gewählt. Hast du dein Handy überhaupt eingeschaltet?«
Annika kramte in ihrer Umhängetasche und zog das Telefon an der Headset-Schnur heraus.
»Hoppla«, sagte sie. »Sorry.«
»Wie konntest du mich einfach so hängenlassen?«, schimpfte Lotta. »Wir sollen diese Artikelserie doch zusammen machen.«
»Ist ja gut«, sagte Annika und schaltete ihr Handy ein. »Du hast nichts verpasst, ich habe mir nur ein paar Hintergrundinfos
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