Kalter Süden
die Tat gegen einen der Erwachsenen gerichtet hat. Habt ihr sie überprüft?«
Niklas Linde seufzte.
»Nicht besonders gründlich. Sebastian Söderström war ein charmanter Sunnyboy, total unfähig, mit Geld umzugehen. Veronica Söderström war eine angesehene Anwältin, Astrid Paulson Rentnerin, Suzette eine Schülerin, die demnächst einen Job in einem Reitstall antreten wollte.«
»Könnte es etwas mit Sebastians unübersichtlichen Finanzen zu tun haben?«
»Klar könnte es das, aber wer nicht fragt, bekommt auch keine Antwort.«
»Und was ist mit Suzette passiert? Habt ihr irgendwas von ihr gehört?«
»Keinen Ton. Sie hat sich am 30 . Dezember letzten Jahres in Luft aufgelöst.«
»Wird noch irgendwie nach ihr gesucht?«
»Zurzeit? Nein.«
»Glaubst du, dass sie noch lebt?«
Niklas Linde zögerte mit der Antwort.
»Sie hat seit vier Monaten kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Keine Landesgrenze überquert, kein Geld abgehoben, kein Telefonat geführt, sich nicht ins Internet eingeloggt. Falls sie noch am Leben sein sollte, dann ist sie irgendwo eingesperrt, ohne Möglichkeit, mit der Umwelt Kontakt aufzunehmen. Ihr Tod wäre für sie vielleicht noch nicht einmal das Schlimmste.«
Annika schwieg eine Minute und starrte durch die Windschutzscheibe. Sie dachte an das Foto des Mädchens mit der Schmollmiene, dem schwarzen Haar, dem weichen Gesicht. Ihr Tod wäre für sie vielleicht noch nicht einmal das Schlimmste . Wie abgrundtief widerwärtig.
»Aber es gibt doch Spuren«, sagte sie dann. »Oder nicht?«
Niklas Linde nickte.
»Den, der das Bier präpariert hat.«
»Er hat alles inszeniert«, sagte Annika. »Die Einbrecher angeheuert, das Gas und das Naloxonderivat besorgt, den Alarmcode der Villa gekauft, das Bier vergiftet, den Tresor mitgenommen und das Weite gesucht.«
»Wenn es denn ein Er war.«
Annika sah Niklas Linde verblüfft an.
»Was meinst du damit?«
»Ich meine die Fußspuren, die am Tatort gesichert wurden«, erklärte er. »Drei Fußpaare, von denen zwei mit denen der Einbrecher übereinstimmen. Das dritte hatte Schuhgröße siebenunddreißig.«
Nur wenige Männer hatten so kleine Füße.
»Habt ihr eine Idee, wer sie sein könnte?«
Er sah sie an und lächelte.
»Warum so ernst, kleine Annika«, sagte er. »Ich freue mich, dass du hier bist. Wollen wir den Gasüberfall nicht vergessen und über was Angenehmeres reden?«
»Nur noch eine letzte Frage«, bat sie.
Er hob die rechte Hand und strich ihr die Haare aus dem Gesicht.
»Es gibt keine Fingerabdrücke und keine DNA -Spuren, die einen Hinweis liefern könnten. Kein Auto und keine Zeugen.«
Seine Berührung brannte auf ihrer Haut wie siedend heißes Wasser.
»Nur die Fußabdrücke«, sagte sie.
»Nur die Fußabdrücke«, bestätigte der Polizist.
Sie blickte auf seine Füße. Sie waren riesig.
»Weißt du, was man über Männer mit großen Füßen sagt?«, fragte sie.
Er warf ihr einen schnellen Blick zu. In seinen Augen glitzerte es spöttisch.
»Nein. Was denn?«
Sie entspannte sich, lachte und merkte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Schaute hinaus auf die Betonskelette, die sich neben der Autobahn aneinanderreihten. Spürte, wie die Erwartung sich vom Bauch abwärts in ihr ausbreitete.
»Dieser schwedische Drogenschmuggler«, wechselte sie das Thema und versuchte, so normal wie möglich zu klingen. »Ist er bereit, in einem Interview mit dem Abendblatt auszupacken?«
»Ich habe heute Morgen mit seinem Anwalt gesprochen. Du kannst ihn morgen Vormittag um elf im Gefängnis in Málaga besuchen.«
Er bremste an der Mautstation in Calahonda, reihte sich in eine der Schlangen ein und landete hinter einem Lastzug aus Marokko.
»Was glaubst du, was der geladen hat?«, fragte Annika.
Niklas Linde umfasste mit leichtem Griff ihren Nacken, beugte sich über die Mittelkonsole des Jaguars und küsste sie. Die Wirkung war elektrisierend. Sämtliche Körperhaare richteten sich auf. Sie erwiderte seinen Kuss wie eine Ertrinkende, legte ihre Hand auf seinen Hinterkopf, fuhr mit den Fingern durch sein Haar, griff hinein und hielt ihn fest. Sie küsste ihn, bis sie völlig atemlos war und die Autos hinter ihnen anfingen zu hupen.
»Wohnst du wieder im selben Hotel?«
Annika nickte, ihr war ganz schwindelig. Der Wagen hinter ihnen überholte sie mit quietschenden Reifen, und der Fahrer zeigte ihnen den Mittelfinger, als er vorbeifuhr.
»Musst du gleich irgendwohin?«, fragte sie leise. »Oder hast du Zeit,
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