Kalter Süden
geben lassen. Hast du Fotos gemacht?«
»Wovon denn? Von diesem überladenen Kasten? Oder der malerischen Umgebung?«
Sie breitete die Arme aus und zeigte auf die vom Wind kahlgefegten Flächen rund um die Kongresshalle, die dröhnende Autobahn und die riesigen Industriebaracken im Hintergrund.
»Wir müssen uns hinsetzen und versuchen, Termine mit ein paar Leuten zu machen, die wir morgen interviewen können«, sagte Annika. »Drogendealer, einen Geldwäsche-Anwalt, irgendwelche Jetset-Schweden …«
Lotta sah sie verständnislos an.
»Das hier war total anstrengend für mich«, sagte sie. »Erst so früh aufstehen, und dann verschwindest du einfach mal eben. Ich will jetzt ins Hotel und auspacken, und anschließend muss ich was essen.«
Annika starrte die Frau an: die blonde Haarmähne, den gekränkten Gesichtsausdruck, die langen Beine und die knochigen Schultern.
»Auspacken?«, echote sie.
Dann fielen ihr Anders Schymans weise Worte ein: Der Klügere gibt nach. Heute war Mittwoch. Am Samstag würden sie wieder nach Hause fliegen. Sie hatten also noch zwei Tage Zeit, um die ganze Artikelserie zusammenzubekommen.
»Natürlich«, lenkte sie deshalb ein. »Fahr du nur. Das Hotel Pyr liegt in Puerto Banús, du kannst es von der Autobahn aus sehen.«
Sie steckte ihr Handy wieder in die Tasche.
»Wie bitte?«, sagte die Fotografin. »Kommst du nicht mit?«
»Ich habe noch jede Menge Arbeit zu erledigen.«
»Aber …«
»Hoffentlich kann ich den schwedischen Drogendealer klarmachen, der in Málaga im Knast sitzt. Einer von uns muss sich hinter die Sache klemmen. Treffen wir uns morgen beim Frühstück im Hotel? Um acht?«
Lotta wollte noch irgendwas sagen, aber Annika hatte sich schon umgedreht und ging auf Niklas Lindes Auto zu. Kein BMW mehr, sondern ein kleinerer Jaguar.
»Ist das deine Fotografin?«, fragte er und schaute interessiert zu Foto-Lotta hinüber.
»Nein«, erwiderte Annika und öffnete die Autotür. »Das ist nicht meine, die gehört dem Abendblatt . Du kannst sie gerne ausleihen, wenn du willst.«
Er grinste.
»Ich ziehe Reporterinnen vor«, sagte er und stieg in den Wagen.
Annika winkte, als sie an Lotta vorbei vom Parkplatz fuhren.
Der Verkehr war dicht, es herrschte fast schon Stau. Niklas Linde kurbelte sein Fenster hoch und stellte die Klimaanlage auf interne Zirkulation. Das Thermometer am Armaturenbrett zeigte eine Außentemperatur von neunundzwanzig Grad.
»Ist das hier immer so heiß?«, fragte Annika und merkte, dass ihr der Schweiß unter den Brüsten langsam durchs T-Shirt drang.
»Bis Oktober ist es so wie jetzt«, antwortete er. »Das ganze Sommerhalbjahr fällt hier kein Tropfen Regen.«
Das weiße Licht hatte an Intensität nachgelassen, es war jetzt eher rosa. Sie nahm die Sonnenbrille ab und blinzelte aufs Meer hinaus.
»Hat sich im Fall Sebastian Söderström noch was ergeben?«
Er runzelte die Augenbrauen.
»Hast du schon gehört, was im Obduktionsbericht steht?«, fragte er und warf ihr einen Seitenblick zu. »Dem von den Einbrechern?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Die sind nicht durch das Gas gestorben, sondern an Atemlähmung aufgrund einer Überdosis Morphin.«
Annika sah den Polizisten an. Seine Arme waren kastanienbraun.
»Eine Überdosis Morphin? Waren sie morphiumsüchtig?«
»Das Morphin war in ihren Bierflaschen.«
Annika richtete den Blick auf die Straße. Vor ihren Augen tauchte das Innere der Lkw-Fahrerkabine auf: die schmutzige Seitenscheibe, der aufgeplatzte Vinylbezug des Fahrersitzes, das Hamburger-Papier zwischen Windschutzscheibe und Armaturenbrett, die Karte von Marbella, der Sand auf dem Fußboden, zwei halbleere Bierflaschen …
»Ich erinnere mich«, sagte sie. »Die Flaschen standen in den Halterungen neben dem Autoradio.«
»San Miguel in Literflaschen.« Niklas Linde nickte. »Mit Schraubverschluss.«
»Also hat jemand sie präpariert«, sagte Annika. »Das heißt ja, dass …«
»… jemand sie umgebracht hat, genau.«
»Aber wer? Und warum?«
»Was glaubst du?«
Sie starrte schweigend geradeaus.
»Eigentlich ziemlich clever«, sagte Niklas Linde. »Morphin gibt es in jedem Krankenhaus. Die Schränke sollten eigentlich immer verschlossen sein, aber es ist nicht schwer, sie aufzubrechen. Den Morphinlösungen sind Geschmacksstoffe zugesetzt, deshalb glaubt der Pathologe, dass in diesem Fall Morphintabletten verwendet wurden.«
»Da muss man aber doch sicher eine Menge Pillen nehmen, damit die tödlich wirken«,
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