Kalter Süden
das Denken«, erwiderte Annika. »Gib mir jetzt eine Karre.«
Sie bekam den alten schäbigen Volvo, den er ihr immer gab.
»Wie ist unsere Zielvorgabe für diese Pressekonferenz?«, fragte der Fotograf, während Annika sich aus dem Parkhaus kämpfte. »Dramatisch oder formell? Wer ist das Opfer und wer der Held? Gibt es einen Bösewicht?«
Sie schielte zu ihm hinüber, um zu sehen, ob er sie zum Narren hielt, aber er wirkte todernst.
»Filip Andersson ist wohl das Opfer, und der Anwalt ist der Held«, sagte sie. »Obwohl äußerlich keiner von beiden seiner Rolle entspricht. Filip Andersson sieht aus wie ein Gangster und Sven-Göran Olin wie ein lieber Onkel.«
»Und der Bösewicht ist ein schmissiger, braungebrannter Kerl mit ehrlichen blauen Augen?«
»Der Bösewicht war eine Durchschnittsfrau, die im vergangenen Dezember in einem Wald in der Nähe von Garphyttan von der Polizei erschossen wurde«, sagte Annika. »Sie hieß Yvonne.«
Der Fotograf sagte nichts mehr.
Es hatte aufgehört zu regnen.
Sie krochen durch die Staus in der Innenstadt. Zu Fuß wären sie schneller gewesen.
Sie parkte am Skeppsbro-Kai und bezahlte 260 Kronen für zwei Stunden. Ein Taxi wäre billiger gewesen.
Annika warf einen Blick auf die Uhr und überlegte, wie viel Zeit die Pressekonferenz in Anspruch nehmen würde. Sollte es zu lange dauern, würde sie einfach gehen. Das Treffen mit Polly um zwölf Uhr im Café war wichtiger, egal, was Patrik dazu sagte.
Es könnte natürlich auch falscher Alarm sein, dachte sie. Es muss sich ja nicht wirklich um ein Lebenszeichen von Suzette handeln. Polly trägt gerne ein bisschen dick auf.
Der Warteraum der Anwaltskanzlei war voller Journalisten, Fernsehkameras und Radioleuten. Annika war erstaunt. Schon seit dem Winter war doch mehr oder weniger klar gewesen, dass man Filip Andersson freisprechen würde.
Wahrscheinlich waren sie hier, um mal einen Blick auf ihn zu erhaschen.
Sie drängelte sich durch den Raum und fand einen freien Sessel gleich neben den Toiletten. Auf der Armlehne lagen Teile der heutigen Morgenzeitung . Mit einem Seufzer ließ sie sich nieder und schlug den Kulturteil auf. Ohne zu lesen, blätterte sie bis Seite vier, wo sie hängenblieb.
Den meisten Platz auf der Doppelseite nahm die Rezension einer Ausstellung im Kulturhuset ein. Es handelte sich um eine Fotoausstellung mit dem Titel »Die andere Seite der Costa del Sol«. Die Fotografin Lotta Svensson Bartholomeus wurde dafür gelobt, »die ausgebeutete Costa del Sol, die Frauen auf dem Weg zum Markt und die vergessenen Werkzeuge der Handwerker auf dokumentarische und dennoch einfühlsame Weise eingefangen« zu haben … Der Artikel war mit der Nahaufnahme einer Blechschere im Drogenlager in La Campana illustriert.
Sieh an, dachte Annika und legte die Zeitung weg.
Ein paar Minuten schaute sie mit wachsendem Unbehagen starr geradeaus. Dann nahm sie den Kulturteil noch einmal zur Hand, betrachtete das merkwürdige Bild und dachte an Lottas Vorträge darüber, dass die Kunst wirklicher als der Journalismus sei.
Irgendetwas begriff sie hier nicht, so viel war klar.
Was konnte an einer Blechschere in einem Warenlager grundsätzlich interessant sein? Was fehlte ihr, dass sie nicht in der Lage war, die Besonderheit zu erfassen, die der Kunstrezensent darin sah?
Sie faltete den Zeitungsteil zu einem kleinen harten Paket zusammen und stopfte es unter den Sessel, stand auf und bezog Stellung neben den Toiletten. Dort blieb sie, bis die Türen zum Konferenzraum geöffnet wurden.
In der Tür bildete sich sofort ein Stau. Sie hörte, wie Sven-Göran Olin zu Ruhe und Ordnung mahnte.
Annika wartete, bis die meisten hineingegangen waren, betrat den Raum und blieb gleich an der Tür stehen.
Vor dem Podium, das aus einem gewöhnlichen Tisch mit drei Stühlen bestand, drängten sich die Fotografen und die Fernseh- und Radioleute mit ihren Mikrofonen. Steven war in der Unordnung leicht auszumachen, er war viel größer als alle anderen.
Ihr Blick suchte nach dem freigesprochenen Mörder. Er war noch nicht zugegen.
Das Unbehagen in ihrem Bauch wollte sich nicht legen.
Fünf Jahre lang hatte Filip Andersson für einen grotesken Mord eingesessen, den er nicht begangen hatte. Hatte man nach so einer Erfahrung noch einen gesunden Menschenverstand, oder musste man schon Nelson Mandela heißen, um das zu bewältigen?
Bald würde sie die Antwort wissen. Eine Hintertür ging auf, und Filip Andersson betrat den Saal. Er trug eine
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