Kalter Süden
ausdachte, fand verschwundene Kinder im Wald und kam Terroristenbanden und Nobelpreisträger-Mördern genauso auf die Schliche wie der jugoslawischen Mafia …
»Ich finde, Sie sind wirklich undankbar«, sagte sie. »Sie stellen es so dar, als würde ich den ganzen Tag Kaffee trinken, aber ich ziehe mehr Storys an Land als alle anderen …«
»Ich stelle nicht Ihre Kompetenz in Frage, sondern Ihre innere Einstellung.«
»Meine Einstellung ? Ist die wichtiger als das, was ich abliefere? Haben Sie nicht schon genug Ja-Sager um sich rum?«
Die Miene des Chefredakteurs verfinsterte sich.
»Es geht nicht darum, dass ich keine Leute haben will, die widersprechen …«
»Natürlich! Sie sind genau wie all die anderen Cheftypen. Sie wollen gut erzogene Reporterinnen, die nett und freundlich sind und immer tun, was man ihnen sagt. Da kriegen Sie mich nie hin.«
Es wurde still im Raum.
»Wollen Sie mich loswerden?«, fragte Annika. »Ganz ehrlich?«
Anders Schyman biss sich auf die Unterlippe.
»Ich habe Sie immer verteidigt«, sagte er. »Verdammt, ich bin sogar noch weiter gegangen, ich habe für Sie gekämpft. Der Vorstandsvorsitzende wollte Sie kündigen, aber ich habe meinen eigenen Kopf riskiert, um Sie behalten zu können …«
»Oh, ich bin ja so gerührt«, sagte Annika. »Wenn der Vorstand Sie erst mal übergeht und in Eigenregie Leute entlässt und einstellt, sind Ihre Tage als Chef gezählt, das wissen Sie so gut wie ich. Versuchen Sie doch nicht, mir was vorzumachen.«
Wieder Schweigen.
»Interessiert es Sie, was ich heute gemacht habe, statt Patriks Zettel abzutelefonieren?«, fragte Annika.
Anders Schyman antwortete nicht.
»Erinnern Sie sich an den Gasmord in Nueva Andalucía? An das verschwundene Mädchen Suzette Söderström?«
Er nickte.
»Ich glaube, dass sie noch am Leben ist. Ich glaube, dass sie auf einer Farm in Marokko gefangengehalten wird. Ich habe mit diversen Leuten gesprochen, die Angaben zu dieser Farm machen könnten, wo sie liegt und warum das Mädchen dort ist und …«
Der Chefredakteur schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte.
»Annika, Annika, Annika«, sagte er. »Heute Nachmittag gab es Sabotagealarm im Kernkraftwerk in Oskarshamn, und wir hatten niemanden, den wir hinschicken konnten.«
»Davon hab ich im Autoradio gehört«, sagte Annika. »Das war doch falscher Alarm. Ein Schweißer hatte einfach einen Rest Sprengstoff in einer Plastikschachtel aufbewahrt, auf der IFK Norrköping draufstand.«
»Das wusste man aber nicht sofort. Tatsache ist und bleibt, dass wir keinen Reporter zur Berichterstattung hinschicken konnten.«
Annika starrte ihren Chef an.
»Aber das ist doch wohl nicht meine Schuld? Ich habe jedenfalls nicht gerade erst die halbe Redaktion gefeuert.«
Anders Schyman stand auf.
»Wir kommen so nicht weiter«, sagte er. »Ich gebe Ihnen den Rest der Woche Zeit, sich zu überlegen, wo Sie eingesetzt werden wollen.«
Mit dem schwindelerregenden Gefühl, sich im freien Fall zu befinden, saß Annika da. Dann zwang sie sich aufzustehen. Sie verließ den Glaskasten und zog die Tür hinter sich zu.
Patrik starrte sie an. Natürlich wusste er, was gesprochen worden war. Jetzt war er zufrieden.
Sie schaffte es nicht, ihn anzusehen, sondern ging zurück an ihren Computer. Hinter ihren Lidern brannten die Tränen.
Es gab andere Stellen. Es musste doch ein anderes Medienunternehmen geben, das sie engagieren würde. Außerdem würde sie auch ohne Job gut zurechtkommen, jedenfalls eine Weile, wo doch jetzt das Geld von der Versicherung kam.
Am 30 . Juni würde sie den Wert ihres abgebrannten Hauses erstattet bekommen: 6 Millionen Kronen, plus eine Viertelmillion für den Hausrat. Natürlich würde Thomas die Hälfte abbekommen, aber das Grundstück sollte ja zum Verkauf angeboten werden, und das würde auch noch ein paar Millionen extra einbringen. Sie hatte im Internet recherchiert und herausgefunden, dass in der ganzen Kommune Danderyd nur ein einziges Grundstück zum Verkauf stand, und der Preis dafür lag bei 4 , 4 Millionen.
Vielleicht war es gar kein Beinbruch, gefeuert zu werden.
Es wäre der Anfang von etwas Neuem und Guten.
Möglicherweise war es ja die perfekte Lösung für sie, als feste Freie zu arbeiten. Dann könnte sie machen, wozu sie Lust hatte, ohne dass immer jemand seinen Senf dazugab …
Obwohl sie eigentlich schon gerne dazugehören wollte. Sie wollte einen eigenen Platz haben und ein Postfach.
Sie setzte sich vor ihren
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