Kalter Süden
den Wagen. Auf dem Weg zur Autobahn wählte sie eine Nummer, die sie auswendig kannte.
Nina Hoffman ging sofort ans Telefon und meldete sich wie immer mit ihrem vollen Namen.
Es war still im Hintergrund, deshalb nahm Annika an, dass Nina entweder zu Hause oder in ihrem Büro war. Jedenfalls saß sie weder im Streifenwagen noch in einem dreckigen Gefängnis.
»Ich war auf der Pressekonferenz nach der Freilassung Ihres Bruders«, sagte Annika. »Wissen Sie, was er jetzt vorhat?«
»Für alles, was Sie getan haben, bin ich Ihnen sehr verbunden, aber ich schulde Ihnen nichts«, sagte Nina Hoffman. »Wenn Sie etwas über Filip wissen wollen, müssen Sie ihn selbst fragen.«
Annika drosselte das Tempo und fuhr auf die rechte Fahrspur.
»Okay«, sagte sie. »Ich habe noch eine ganz andere Frage. Wissen Sie etwas über eine Farm in Marokko?«
Die Scheibenwischer arbeiteten auf Hochtouren. Nina schwieg.
»Hallo?«, sagte Annika. »Hallo, Nina?«
»Ja, ich bin noch dran.«
»Ich habe gerade Hannelore Lindholm besucht«, sagte sie. »Ich habe mit ihr über Ihre Mutter und Astrid, Veronica Söderströms Mutter, gesprochen …«
»Warum in aller Welt tun Sie das? Warum schnüffeln Sie in unseren Familienangelegenheiten herum? Warum können Sie uns nicht in Frieden lassen?«
Sie klang nicht wütend, nur verbissen.
»Hannelore ist eine kranke und verwirrte alte Frau. Sie haben nichts mit ihr …«
»Nina«, unterbrach Annika sie und fuhr noch langsamer. »Hat Ihre Mutter jemals eine Farm in Marokko erwähnt?«
Es rauschte und knisterte in der Leitung.
Für ein paar Sekunden schwieg Nina.
»Warum fragen Sie?«
»Irgendwo in der Nähe von Asilah in Nordmarokko muss es eine Farm geben, die auf irgendeine Weise mit Astrid Paulson und David Lindholm und all den anderen in Verbindung steht.«
»Wen meinen Sie mit ›all den anderen‹?«
»Eine Frau namens Fatima mit einer Tochter. Amira. Schon mal gehört?«
Es klickte, und dann wurde es vollkommen still am anderen Ende. Nina Hoffman hatte aufgelegt.
Annika biss die Zähne zusammen. Verdammter Mist.
Nina wusste etwas und wollte es nicht sagen.
Ein Sattelschlepper überholte sie und spritzte ihr die Windschutzscheibe voll.
Annika verstaute ihr Handy und versuchte, sich aufs Fahren zu konzentrieren.
Gott sei Dank hatte Tore schon Feierabend. Sie überließ die Autoschlüssel dem Nachtwächter und setzte ihn darüber in Kenntnis, dass das Auto betankt und eigentlich auch mal gewaschen werden müsste. Dann holte sie sich ein Formular für die Spesenabrechnung und gab die am Tag angefallenen Kosten an – sowohl für den Parkschein als auch für den Strafzettel. An sich mussten sie ihre Strafzettel selbst übernehmen, aber es war den Versuch wert.
»Wie viel willst du über Filip Andersson haben?«, fragte Annika, als sie am Desk des Nachrichtenchefs vorbeikam.
»Hast du ein Exklusiv-Interview?«
»Nix.«
Der Nachrichtenchef rollte mit seinem Schreibtischstuhl ein Stück zurück und sah Annika resigniert an.
»Und wo hast du den ganzen Tag gesteckt?«
Annika blieb verwundert neben ihm stehen.
»Ich hab ein paar Sachen gecheckt, wieso?«
»Nicht die Sachen, die du hättest checken sollen«, stellte er fest und legte die Hand auf einen Papierstapel neben seinem Computer. »Wie sollen wir eine Zeitung machen, wenn die Reporter nicht zum Dienst erscheinen?«
Sie schloss die Augen. Jetzt nur nicht sauer werden.
»Gib schon her«, sagte sie dann und schlug die Augen wieder auf. »Hat irgendein Fernsehstar in einer Live-Sendung gerülpst? Oder hat der Mann mit der größten Nase der Welt Heuschnupfen gekriegt?«
Patrik griff nach der Tischkante und zog sich an den Tisch, ohne zu antworten.
»Nein? Nicht? Na, dann war es wohl nicht so wichtig!«, sagte Annika.
Sie ging an den Tisch der Tagesreporter und packte ihren Laptop aus. Dann öffnete sie Word, sammelte sich und begann aufzuschreiben, was sie im Laufe des Tages in Erfahrung gebracht hatte.
Sie fing von hinten an, mit Nina, die nun überhaupt nicht mehr mit ihr sprechen wollte. Dann Hannelore und ihre wirren Kindheitserinnerungen, Julia und Alexander mit ihrem zerbrechlichen Dasein, und zu guter Letzt war sie bei Suzette angekommen. Sie sah Pollys Desktophintergrund wieder vor sich, das schwarzhaarige Mädchen, das mit strahlenden Augen und lachendem Gesicht ein Pferd umarmte.
»Annika? Können Sie einen Augenblick zu mir kommen?«
Chefredakteur Anders Schyman stand in der Tür zu seinem
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