Kalter Süden
Laptop, schloss die Augen und atmete dreimal tief durch. Dann loggte sie sich wieder ein und öffnete den Text, an dem sie zuletzt gearbeitet hatte. Sie war bis zu Suzettes Mail gekommen und versuchte jetzt, sie aus dem Gedächtnis wiederzugeben.
»Du darfst nichts von dieser Mail erzählen. Weder Mama noch der Polizei. Auf der Farm haben wir kein Netz, deshalb konnte ich dir nicht mailen. Ich bin im Internetcafé. Fatima wäre stinksauer, wenn sie wüsste, dass ich dir schreibe. Ich bin seit Silvester bei Amira. Ich habe ein eigenes Pferd bekommen. Es heißt Larache. Er ist ein Mix aus englischem und arabischem Vollblut. Sag Adde nicht, dass ich geschrieben habe. Du kannst mir eine Antwort schicken, aber ich weiß nicht, wann ich wieder rankann. Wir fahren nur ab und zu nach Asilah. Grussundkuss von suz.«
Sie las die Mail zweimal, dann starrte sie auf den Bildschirm.
Es war doch absolut verrückt, dass die Zeitung nicht an Suzettes Geschichte interessiert war. Warum waren Mädchen mit Pferden bloß so unglaublich bedeutungslos?
Außerdem lag dieser Sache etwas viel Größeres zugrunde. Etwas Ungreifbares und Dunkles umgab das Ganze, Astrid und Siv und Hannelore und ihre Familien, und sie hatte gerade erst die Witterung aufgenommen.
»Was wollte Schyman?«
Patrik stand neben ihr und konnte seinen Triumph kaum verhehlen.
»Mir zum Geburtstag gratulieren«, sagte Annika. »Du weißt doch genau, was er wollte. Er hat mir gesagt, dass du mich loswerden willst.«
Der Nachrichtenchef setzte sich auf den Schreibtisch, auf ihre Notizen.
»Du bist eine gute Journalistin, Annika«, sagte er. »Wenn du nur lernen würdest, dass …«
»Erspar uns das«, sagte Annika und riss ihren Notizblock an sich. »Wenn du fertig bist, würde ich gerne hier weitermachen.«
Patrik erhob sich widerwillig.
»Solltest du nicht lieber nach Hause gehen? Morgen ist auch noch ein Tag.«
Sie sah auf und entschied sich.
»Ich habe Fieber«, teilte sie ihm mit. »Morgen komme ich überhaupt nicht. Ich muss zum Arzt, es sind sicher Streptokokken.«
Er sah sie zweifelnd an, erwiderte jedoch nichts und ging zurück an seinen Platz.
Annika schloss ihr Word-Dokument und ging ins Netz.
Jeden Morgen gab es Flüge zwischen Stockholm und Málaga.
Andauernd fuhren irgendwelche Fähren zwischen Algeciras und Tanger hin und her, das hatte sie auf den Schildern an der Costa del Sol gelesen.
Es gab sicher eine Möglichkeit, von Tanger nach Asilah zu kommen, so groß war Marokko schließlich auch nicht.
Sie öffnete Google Maps und tippte asilah morocco ein. Zwei Sekunden später schaute sie auf das Satellitenbild einer Stadt an der nordafrikanischen Atlantikküste.
Das musste ungefähr fünfzig oder sechzig Kilometer von Tanger sein.
Sie atmete zweimal durch und schielte zum Glaskasten des Chefredakteurs. Er lag im Dunkeln. Schyman war nach Hause gegangen, ohne dass sie es bemerkt hatte.
Sie zögerte einen Augenblick, dann öffnete sie die Buchungsseite für den Frühaufsteherflug nach Málaga.
Im Flieger um 06 . 45 Uhr waren noch Plätze frei.
Der Sturz
aus den Himmeln
Der Engel schlug hart auf der Erde auf, als das Trollmädchen und die Prinzessin verschwunden waren. Sie wurde mit hohem Fieber und seltsamen Blasen an den Händen ins Bett gesteckt und bekam Brustwickel mit Kampfersalbe und Fürbittgebete der Gemeinde verordnet.
Der Vater und das Gesinde suchten drei Tage und drei Nächte die ganze Nachbarschaft ab. Anschließend wurden die Ausreißer der Jugendfürsorge gemeldet. Dort nahm man die Vermisstenanzeige bezüglich der Mädchen entgegen, nicht aber die für Schielauge. Er stand nicht mehr unter Vormundschaft, da er im Monat zuvor volljährig geworden war.
Auf Gudagården zog die Stille ein, groß und stumm. Der Vater übernahm die Vergeltung und züchtigte zur Buße sich und das Gesinde. Diese Maßnahmen stießen jedoch nicht auf Gegenliebe. Dass er seine Pflegekinder verprügelte, hatte man hingenommen, aber erwachsene Knechte, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienten, waren nicht bereit, sich von ihrem Brotherrn schlagen zu lassen.
Bald waren der Vater und der Engel allein mit Aussaat und Ernte. Die Arbeit wurde zur Qual. Trotz der Gebete des Vaters um Gottes Beistand und Hilfe bekamen sie die Kartoffeln nicht aus der Erde, bevor der Frost einsetzte.
Von den Geflohenen gab es weit und breit kein Lebenszeichen, also nahm der Vater weitere Pflegekinder auf. Er wollte keine Mädchen, die weglaufen konnten, nur Jungen
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