Kalter Süden
ihren Haaren, aber die Übelkeit ließ sofort nach.
Der Bauboom an der Costa del Sol schien über die Meerenge gekrochen zu sein. Sie sah Menschen an den Stränden, Autos auf den Straßen, Geschäfte mit großen Schaufenstern.
Sie war noch nie in Afrika gewesen und hatte es sich vollkommen anders vorgestellt.
Die Fähre drosselte die Fahrt, und Decks und Wände zitterten, während sie sich dem Kai näherte. Annika sah auf die Uhr. Sie waren spät aus Algeciras weggekommen, und die Überfahrt hatte fast eine halbe Stunde länger gedauert als die angekündigten zwei Stunden. Jetzt war es Viertel vor fünf. Sie trat rastlos von einem Fuß auf den anderen und hoffte, dass der muqaddam sich an spanische Bürozeiten hielt und noch eine Weile geöffnet hatte.
Die Fernfahrer und Handwerker sammelten sich auf Deck 5 . Sie unterhielten sich auf Französisch, Spanisch und Arabisch. Keiner von ihnen schien es besonders eilig zu haben. Annika stellte sich strategisch günstig neben die Tür, durch die sie an Bord gekommen war, um so schnell wie möglich an Land zu gehen, aber nichts passierte. Es donnerte und rumpelte irgendwo unter ihr, sie nahm an, dass Gangway und Fahrzeugrampen heruntergelassen und eingehängt wurden.
Dann ging die Tür auf, jedoch nicht die, an der sie Position bezogen hatte, sondern die Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Sie fluchte leise über ihren Irrtum und stellte sich zähneknirschend, aber brav als Letzte in der Schlange an.
Es dauerte eine Ewigkeit.
Zuerst musste sie ein Formular mit Angaben zu ihrer Person ausfüllen, ihrem Beruf und ihrer Adresse in Marokko, Zweck ihres Besuchs und geplanter Aufenthaltsdauer. Dass sie Journalistin war, gab sie nicht an, sie war ja nicht auf den Kopf gefallen. Also schrieb sie stattdessen »Writer«.
Zwei Zöllner und zwei Grenzpolizisten kontrollierten alle Pässe und Einreisedokumente mit aufreizender Gründlichkeit.
»Was schreiben Sie?«, fragte der Zöllner misstrauisch auf Englisch und befummelte den Laptop in ihrer Tasche.
»Lehrbücher für Schulkinder«, sagte Annika.
Man ließ sie ohne weitere Fragen passieren. Sie ging zwei Treppen hinunter, durchquerte das Autodeck und dann einen engen eisernen Korridor, um die Gangway zu erreichen.
Als sie endlich marokkanischen Boden betrat, sog sie die Luft tief in die Lungen. Es roch nach Hafen und verbranntem Gummi.
Sie wurde durch einen ebensolchen Glastunnel geschleust wie in Algeciras, sah ebensolche Fernlastzüge und Container und Kräne um sich herum.
Im Fährterminal setzte sie sich auf eine Bank in der Ankunftshalle und rief Knut Garen an. Meditel funktionierte ausgezeichnet, der Polizist hörte sich an, als wäre er gleich nebenan.
»Die Fahndung ist offiziell«, bestätigte er, und das war alles, was Annika brauchte.
Sie packte ihren Laptop aus und ging über die WAP -Verbindung ihres Handys ins Internet. Das würde sie wahrscheinlich ein Vermögen kosten, aber egal. Sie rief Outlook Express auf und adressierte eine Nachricht an Anders Schyman. Mittels Bluetooth lud sie alle drei Artikel über Carita Halling Gonzales hoch, über die Fahndung, die Person und den Einbruch selbst, sowie eines der Fotos, die sie vor dem Gefängnis in Málaga mit ihrem Handy geknipst hatte, als sie Jocke Zarco Martinez besuchten. Zufällig war Carita mit auf dem Foto, zwar nur in einer Ecke, aber man konnte sehen, dass sie blond war und eine Leopardentasche und Stöckelschuhe trug.
Die Jetset-Schwedin höchstpersönlich.
Als Letztes fügte sie zwei Fotos der Gegend um Caritas Reihenhaus bei, eine Gesamtaufnahme mit dem Pool und dem Wasserfall im Vordergrund und eine von Caritas Haus mit den flatternden Absperrbändern.
In der Mail selbst formulierte sie die Bildtexte, erklärte kurz, was passiert war, gab Carita Halling Gonzales’ vollständigen Namen an, schrieb, dass ihre Eltern außerhalb von Borlänge wohnten und dass Schyman mit den Artikeln machen könne, was er wolle.
Die Übermittlung der Mail dauerte eine Ewigkeit. Sie fürchtete, dass die Verbindung zusammenbrechen könnte und sie alles noch mal wiederholen müsste, aber sie hielt, und schließlich waren Fotos und Texte gesendet. Sie atmete auf und packte ihre Sachen zusammen.
Steckt euch eure blöden Zettel sonst wohin, dachte sie und verließ das Terminalgebäude.
Der Himmel war bewölkt, aber das Licht war scharf. Sie blinzelte zur Stadt hinauf, die sich an den Berghängen emporzog, und erkannte, dass sie vor dem nächsten Problem stand:
Weitere Kostenlose Bücher