Kalter Süden
andere.
Ein paar kleine Jungen spielten weiter hinten in der Straße mit einem Fahrrad. Sie wurden verlegen, als sie bemerkten, dass Annika zu ihnen hinübersah, also wandte sie den Blick ab. Ein Mädchen in Schuluniform und mit Zöpfen ging vorbei, auf dem Rücken eine rosa Schultasche. Eine Frau mit Kopftuch und langem Gewand ging in der anderen Richtung vorüber und sprach dabei energisch in ein Mobiltelefon.
Als Annika hörte, wie im Flur eine Tür aufging, drehte sie sich um und sah wieder das Dreieck aus Licht. Der Taxifahrer kam heraus, im Schlepptau einen Mann im traditionellen arabischen Gewand.
»Das ist Muhammed, muqaddam in Asilah«, sagte der Taxifahrer und stellte sich neben Annika, als wollte er sie bekannt machen. Ihr Mund wurde ganz trocken, wie zum Teufel grüßte man auf Arabisch?
Doch der muqaddam streckte die Hand aus und sagte sanft:
»Bonjour madame.«
Annika nahm seine Hand.
»Bonjour« , murmelte sie verlegen.
»Muhammed kennt Fatimas Farm«, teilte ihr der Taxifahrer mit. »Sie liegt oben in den Bergen.«
»C’est une ferme très grande« , sagte der Araber mit seiner sanften Stimme. »Les routes sont très mauvaises. Vous avez besoin d’une grosse voiture pour y aller.«
»Wie bitte?«, sagte Annika verwirrt.
»Die Straßen sind schlecht«, übersetzte der Fahrer. »Man braucht ein großes Auto. Er hat mir erklärt, wo das ist. Soll ich Sie hinfahren?«
»Nur noch eine Frage. Fatimas Mann, wohnt der auch auf der Farm?«, fragte sie und sah den muqaddam dabei an.
Der Taxifahrer übersetzte. Der Beamte antwortete mit Kopfschütteln, wobei er die Hände einmal hob und senkte.
»Er ist tot«, sagte der Taxifahrer.
»Wie hieß er?«
Neuerliches Gestikulieren und Kopfschütteln.
»Er war Europäer.«
Annika sah den Taxifahrer an.
»Also, ich hätte schrecklich gern, dass Sie mich zu der Farm bringen.«
»Das macht noch mal 25 Euro.«
»Sie sind ein guter Geschäftsmann.«
»Aber erst muss ich etwas essen«, sagte er.
Bei dem Gedanken an Essen wurden ihr die Knie weich. Das Einzige, was sie den ganzen Tag gegessen hatte, war das Baguettebrötchen in der Cafeteria des Fährterminals in Algeciras.
»Okay«, sagte sie matt.
Sie dankten dem Beamten für seine Hilfe, er ging ins Haus zurück und verriegelte die Tür. Es war fünf Uhr.
Der Taxifahrer, der, wie sich herausstellte, ebenfalls Muhammed hieß, lehnte es freundlich, aber bestimmt ab, sich von ihr zum Essen einladen zu lassen. Annika beobachtete, wie er sich in einem einheimischen Lokal niederließ und sofort mit anderen Männern in graublauen Jacketts ins Gespräch kam.
Sie bog um die Ecke und bekam einen Tisch im spanischen Restaurant Casa García. Er werde eine Stunde für sein Essen brauchen, hatte Muhammed angekündigt, deshalb nahm sie eine Vorspeise (jamón ibérico) , das Hauptgericht (pollo a la plancha) und ein Dessert (flan) . Hinterher konnte sie sich kaum noch bewegen. Sie bezahlte mit Karte und spazierte dann zur Medina, dem alten Stadtkern. Sie machte sich keine Sorgen, dass Muhammed verschwinden könnte. Er hatte sein Geld schließlich noch nicht bekommen.
Die Sonne versank rasch im Meer. Annika stellte sich ans nördliche Stadttor und blickte über den kleinen Hafen. Bunte Fischerboote schaukelten am Pier.
War dies einer der größten Cannabis-Verschiffungshäfen Marokkos?
Es fiel ihr schwer, das zu glauben.
Die go-fast -Boote, von denen Knut Garen und Niklas Linde gesprochen hatten, konnte sie nirgends entdecken. Wahrscheinlich benutzte man nicht unbedingt den Hafen mitten in der Stadt, wenn man die Haschischernte auf die Reise schickte.
Sie drehte eine Runde zwischen den tausendjährigen Häusern innerhalb der Stadtmauer. Sie waren so rausgeputzt und frisch gestrichen, dass sie aussahen, als wären sie erst gestern gebaut worden.
Der Taxifahrer wartete im Auto, als sie zurückkam. Sie schlüpfte auf den Rücksitz, Muhammed ließ den Motor an und steuerte aus der Stadt.
»Haben Sie gut gegessen?«, fragte er.
»Sehr gut«, antwortete sie.
»Marokko hat ausgezeichnete Speisen, gutes Couscous.«
Sie sagte ihm nicht, dass sie in einem spanischen Restaurant gegessen hatte.
Asilah verschwand hinter ihnen, ins Licht der untergehenden Sonne getaucht. Das Auto rollte nach Osten, überquerte Eisenbahngleise und fuhr unter einer Autobahn hindurch. Dann hörte die Asphaltdecke auf, und eine schmale Sandpiste begann. Muhammed bremste, schaltete die Scheinwerfer ein und ließ den großen Mercedes
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