Kalter Süden
nach Asilah zu kommen.
»Taxi?«, fragte ein älterer Mann in Jeans und graublauem Jackett, der an der Wand neben dem Eingang lehnte.
»Asilah?«, fragte sie zurück.
»Twenty-five Euros«, erwiderte der Mann.
25 Euro? Für die ganze Strecke nach Asilah? Das war ja weniger als die Hälfte der Summe, die sie am Morgen bezahlt hatte, um nach Arlanda zu kommen.
»Okay«, sagte sie.
»Mein Auto steht da drüben«, sagte er in hartem, aber gut verständlichem Englisch.
Sie folgte dem Mann zu einem Parkplatz gleich nebenan. Sein gepflegter Haarschnitt und der entspannte Gang erinnerten sie an jemanden, den sie kannte, Thomas’ Vater vielleicht.
Er führte sie zu einem gelben Mercedes mit Taxischild auf dem Dach, öffnete ihr die Tür zum Fond und schloss sie hinter ihr.
»Sie wollen also nach Asilah?«, fragte der Mann und warf ihr im Rückspiegel einen schnellen Blick zu. »Das ist eine sehr angenehme kleine Stadt.«
Sie legte die Tasche neben sich auf den Rücksitz.
»Dauert die Fahrt lange? Ich habe es ein bisschen eilig …«
»Überhaupt nicht lange. Das hier ist ein sehr gutes Auto. Das war in Rabat, in Casablanca, in der Sahara, in der ganzen Welt!«
Er startete den Motor und kurvte souverän aus dem Hafengelände und durch die Straßen von Tanger. Annika schaute zum Seitenfenster hinaus.
Es sah genauso aus wie in Marbella: Palmen säumten die Straßen, weiße, moderne Gebäude ragten in den Himmel, es gab Bars und Cafés und Autoverleihfirmen.
»Eine Million Menschen wohnen mittlerweile in Tanger«, sagte der Taxifahrer. »Alles ist ganz neu. Die Europäer kommen, kaufen das Land und bauen Hotels und Golfplätze und Shoppingcenter. Ist viel gutes Bisniss für die Leute hier, legales Bisniss. Sehr gut.«
Sie sah die Häuser vorbeihuschen und verkniff es sich, nach dem illegalen Bisniss zu fragen. Vermutlich das, was Knut Garen erzählt hatte: Hanfplantagen in den Bergen und die dazugehörigen Vertriebsketten nach Europa.
Sie blickte weiterhin aus dem Fenster.
Wie um alles in der Welt hatte Suzette es nur geschafft, ohne Pass in dieses Land zu kommen? Innerhalb der Schengen-Staaten konnte man überall hinfahren, ohne sich ausweisen zu müssen, doch die Kontrolle auf der Fähre war streng gewesen. Sie hatte jedenfalls noch nicht oft Fragen nach Beruf und Reisezweck beantworten müssen. Wie hatte Suzette, sechzehn Jahre alt und vollkommen pleite, es angestellt, durch die Kontrolle zu kommen, ohne dass Zoll und Grenzpolizei Alarm schlugen?
»Man hat sehr gutes Leben hier«, fuhr der Fahrer fort. »Hier ist ruhige Atmosphäre, gutes Essen, gutes Wetter.«
Sie fuhren durch ein Wohngebiet. Auf den Hausdächern wuchs ein Wald aus Fernsehantennen und Satellitenschüsseln. Annika sah Frauen auf dem Weg zu Läden und Märkten. Einige von ihnen trugen die Haare bedeckt. Sie kamen an Tankstellen und Handyshops vorbei und an der Baustelle eines großen Fußballstadions. Die Wohnhäuser wurden seltener, die Industriebebauung nahm zu. Sie passierten ein Hotel Ibis, einen großen Volvo-Händler und einen Scania-Händler.
Suzette war früher im Sommer häufig hier gewesen, sie war diesen Weg gefahren, hatte die Landschaft und die Autohallen und die Tankstellen gesehen, hatte auf Omas Schoß gesessen und mit ihrer Freundin Amira gespielt. Für sie war Afrika etwas ganz Normales gewesen.
»Die Fabriken produzieren direkt für Europa«, sagte der Taxifahrer und zeigte auf die Hallen. »Marokkanische Arbeiter sind viel billiger als europäische.«
Er deutete auf ein Wäldchen direkt am Strand.
»Dahin kommen die Familien an den Wochenenden«, sagte er. »Sie grillen und lesen Bücher und spielen mit ihren Kindern.«
»Wie kommt es, dass Sie so gut Englisch sprechen?«, fragte sie. »Haben Sie mal in England gelebt?«
Er blickte sie rasch im Rückspiegel an.
»Nie«, antwortete er.
»Haben Sie in der Schule Englisch gelernt?«
»Nein.«
»Dann haben Sie wahrscheinlich englische Freunde, oder?«
Er antwortete nicht, und sie fragte nicht weiter.
Sie fuhren die Küstenstraße Richtung Süden, die sich am Atlantik entlangschlängelte. Rechts sah Annika weite Sandstrände, die völlig leer und verlassen dalagen, links erstreckten sich sanft geschwungene Felder und Hügel, mild und freundlich, überhaupt nicht so schroff und dramatisch wie an der südspanischen Mittelmeerküste. Überall blühte eine überwältigende Blumenpracht.
Der Mann erzählte weiter, wie die Leute aus Qatar die marokkanischen Küsten
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