Kalter Süden
breitete die Arme aus.
»Herrgott noch mal«, sagte sie, »ich kann nirgendwohin fahren. Ich bin gerade umgezogen und habe noch nicht mal ausgepackt …«
»Du hast doch bestimmt nicht viel Zeug«, fiel Patrik ihr ins Wort. »Ist dein Haus nicht gerade abgebrannt? Clobbe vom Sport macht Urlaub in Marbella. Er ist zwar keine Edelfeder, aber er schreibt den Aufmacher für morgen. Lass dich von ihm einweisen, wenn du angekommen bist. Anschließend lässt du dir schnellstens die Identität der Opfer bestätigen, und falls es stimmt, dass es sich um Sebastian Söderström handelt, bleibst du mindestens für den Rest der Woche dort unten.«
Annika starrte in ihre Tasche. Sie machte ja jetzt schließlich Dienst nach Plan.
»Wo sind die Flugtickets?«, fragte Annika. »Oder habe ich nur eine Buchungsnummer? Wo wohne ich? Soll ich ein Auto mieten? Gibt es einen Dolmetscher? Haben wir Kontakt zur örtlichen Polizei aufgenommen? Und wer macht die Fotos?«
Patrik starrte sie mit leerem Blick an, dann warf er sich in die Brust.
»Das kannst du alles vor Ort klären«, sagte er. »In Spanien gibt es bestimmt freie Fotografen. Und wenn du schon mal da bist, kannst du gleich noch ein bisschen zur Kokainküste recherchieren, du übernimmst nämlich die Artikelserie über Drogen und Geldwäsche, die ich geschrieben hätte, wenn ich nicht befördert worden wäre …«
Dann machte er auf dem Absatz kehrt und eilte davon.
Annika drehte sich zu Berit um.
»Unglaublich!«, sagte sie. »Er bildet sich ein, dass die Arbeit eines Nachrichtenchefs darin besteht, durch die Gegend zu rennen und mit wilden Schlagzeilen um sich zu werfen.«
»Die Buchungsnummer für den Flug findest du in deinem Mailfach«, sagte Berit, ohne aufzublicken. »In Andalusien sind ein paar skandinavische Polizisten stationiert, deren Namen und Telefonnummern stehen in einer anderen Mail. Am besten rufst du sie gleich zuerst an, sie kennen sicher einen Dolmetscher da unten. Und mach die Fotos selbst, das ist am einfachsten. Ich habe von der Materialausgabe eine vollautomatische Kamera für dich geholt, einfach draufhalten und knipsen. Ruf an, wenn du was weißt.«
Sie zeigte auf eine kleine Kameratasche, die neben Annika auf dem Tisch stand, und blickte über ihren Brillenrand.
»Flieg vorsichtig«, sagte sie, »und viel Glück.«
Annika stöhnte.
»Warum hast du den Job nicht übernommen, Berit?«
Es hallte, als sie die Wohnungstür hinter sich zuschlug. Sie blieb eine Minute im dunklen Flur stehen, wie sie es gewohnt war, lauschte auf die Geräusche von der Straße und spürte den Luftzug, der sich einen Weg ins Treppenhaus suchte.
Die Wohnung war dunkler als alle, die sie bisher gehabt hatte. Sie befand sich auch höher über dem Erdboden, im vierten Stock, und vor ihrem Schlafzimmerfenster war nur sternloser Himmel zu sehen.
Vom Flur aus blickte sie durchs Wohnzimmer in das Dunkel, das Ellens Zimmer werden sollte. Die Küche lag gleich links, eine moderne, minimalistische Angelegenheit, die ihr instinktiv missfiel.
Sie machte Licht, zog die Steppjacke aus und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Rasch ging sie an der Küche vorbei, wollte die unausgepackten Kartons mit den Haushaltssachen nicht sehen.
Sie ging in ihr Zimmer, kroch ins Bett und lehnte den Oberkörper ans Kopfende.
Die Wohnung selbst war gar nicht so verkehrt – eigentlich war sie sogar ziemlich gut. Eine Dreizimmerwohnung, aber eine große, hundertvier Quadratmeter, mit einem Flur in der Mitte, den man als Wohnraum nutzen konnte, so dass für sie und jedes Kind ein eigenes Zimmer blieb.
Die Schlüssel waren ihr am Tag vor Silvester per Boten in ihre Übergangswohnung in Gamla Stan geliefert worden. Silvester hatte sie dann damit verbracht, sich ein Auto zu mieten und die wenigen Habseligkeiten, die sie sich nach dem Brand angeschafft hatte, hierherzutransportieren.
Sie sah hinauf zur glatten Zimmerdecke. Früher einmal musste da dicker Stuck gewesen sein, aber das Haus war Ende der Dreißigerjahre renoviert worden, und da hatte man alle unnötigen Verzierungen rausgerissen.
Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass die Immobilie, die offiziell Valnöten 1 hieß, ein Eigentumsobjekt war und jedem Bewohner ein Teil des Hauses gehörte. Diese Wohnung hier war Eigentum der staatlichen Liegenschaftsverwaltung.
Welche Verrenkungen Q hatte machen müssen, um diese vier Wände für sie aus dem Hut zu zaubern, wusste sie nicht, und sie hatte keine Ahnung, wie lange sie hierbleiben
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