Kalter Süden
konnte.
Sie knipste die Nachttischlampe an, schüttelte die Kissen auf, drehte den Kopf ein wenig nach rechts und schaute in den Himmel.
Sie sah das Schlafzimmer in der Villa am Vinterviksvägen vor sich. Wie einsam und verlassen hatte sie sich dort gefühlt. Sie machte die Augen zu und erinnerte sich an das Feuer, den Rauch, die Panik.
Thomas war nicht zu Hause gewesen. Ausgerechnet an jenem Abend hatte er die Familie verlassen und war zu Sophia Grenborg abgehauen. Annika hatte sich und die Kinder retten müssen, so gut es ging: Sie hatte Kalle und Ellen vom Schlafzimmerfenster im Obergeschoss mit Hilfe der Bettwäsche abgeseilt, dann war sie selbst hinterhergesprungen und auf dem Terrassentisch gelandet.
Man hatte sie verdächtigt, das Feuer selbst gelegt zu haben.
Nach monatelangen technischen Untersuchungen fand man einen Fingerabdruck auf einem Molotowcocktail in der Brandruine, anhand dessen der tatsächliche Brandstifter ermittelt werden konnte: eine amerikanische Auftragssmörderin, die unter dem Namen »das Kätzchen« bekannt war.
Das half Annika wenig.
Das Kätzchen sollte nämlich nie für das Feuer zur Verantwortung gezogen werden.
Statt die Frau einzusperren und vor Gericht zu bringen, hatte Kommissar Q daran mitgewirkt, einen Tausch mit den amerikanischen Behörden auszuhandeln: Das FBI bekam sein Kätzchen zurück, und die amerikanische Justiz schickte einen schwedischen Staatsbürger nach Hause, der in einem Gefängnis in New Jersey gesessen hatte.
»Sie haben mein Heim verschachert, das Zuhause meiner Kinder, um beim FBI zu punkten und einen Polizistenmörder nach Hause holen zu können«, hatte sie zu Kommissar Q gesagt.
Daraufhin hatte er geprahlt, er könne ihr ein neues Dach über dem Kopf organisieren, und nun saß sie hier, in der Agnegatan 28 , im selben Viertel, in dem ihre allererste Wohnung gelegen hatte, damals vor zehn Jahren, als sie den Job beim Abendblatt bekam. Die Wohnung hatte keine Fenster in diese Richtung, sonst hätte sie vermutlich das Mietshaus sehen können, in dem sie in jenem heißen Sommer wohnte, damals, als alles begann, vor den Kindern, vor Thomas, als Sven noch lebte …
Irgendwo in der Wohnung begann das Telefon zu klingeln, nicht ihr Handy, sondern der Festnetzapparat. Sie sprang auf und überlegte hektisch, wo sie ihn eingestöpselt hatte.
Nach dem vierten Klingeln fand sie das Telefon auf dem Fußboden in Kalles Zimmer.
»Annika Bengtzon? Hier ist Jimmy Halenius.«
Staatssekretär im Justizministerium, die rechte Hand des Ministers.
Thomas’ Chef.
Sie räusperte sich vernehmlich.
»Thomas ist ausgezogen, das habe ich doch schon gesagt.«
»Ich wollte nicht ihn sprechen, sondern Sie.«
Sie wechselte den Hörer ans andere Ohr.
»Äh«, sagte sie, »ach ja?«
»Ich habe von Britta gehört, dass Sie einen Kommentar zur Auslieferung eines amerikanischen Staatsbürgers Ende letzten Jahres haben wollten. Wie Sie wissen, ist es dem Minister nicht möglich, einzelne Vorfälle zu kommentieren, aber wenn Sie wollen, könnte ich Ihnen ein bisschen was dazu sagen, auf einer etwas inoffizielleren Schiene.«
»Was denn für eine Britta?«, fragte sie.
»Ich bin ab 19 Uhr im Järnet in der Österlånggatan. Kommen Sie dorthin, falls Sie interessiert sind.«
»Kann ich Sie zitieren?«, fragte sie.
»Auf keinen Fall«, erwiderte er. »Aber ich lade Sie zum Essen ein.«
»Ich gehe nicht mit Politikern essen«, sagte sie.
»Wie Sie wollen. Danke und auf Wiederhören«, sagte er und legte auf.
Sie stellte das Telefon wieder auf den Fußboden. Kalles Zimmer hatte noch kein Licht, sie stand im Dunkeln am Fenster und schaute hinunter auf die nackten Baumkronen ein paar Stockwerke unter ihr.
Eigentlich müsste sie Kartons auspacken.
Sie sah auf die Uhr.
Andererseits musste sie das nicht unbedingt heute Abend tun. Dass jemand vom Ministerium zurückrufen würde, hätte sie nie gedacht. Sollte sie nicht doch hingehen und hören, was die zu sagen hatten? Außerdem hatte sie Halenius schon mal getroffen: Er war bei ihr zu Gast gewesen, ein paar Tage bevor das Haus abgebrannt war.
Sie blickte sich zwischen den Umzugskartons um.
Wirklich eine schwierige Wahl, dachte sie. Essen im Edelrestaurant mit einem staatstragenden Informanten oder ein ganzer Abend mit Kalles Spielzeugeisenbahn?
Das Järnet, so stellte sich heraus, war eines der Lokale in Gamla Stan, in die Annika schon oft im Vorübergehen hineingeschaut hatte. Als lebten die Menschen dort drinnen in
Weitere Kostenlose Bücher