Kalter Süden
libre.«
Die Frauen machten trotzdem Anstalten, sich hinzusetzen.
»No libre!« , brüllte Annika und wedelte mit den Händen. Die Frauen funkelten sie beleidigt an und marschierten ans andere Ende der Tapasbar.
Wenn du in Spanien bist, rede wie die Spanier, dachte sie und hob das Handy wieder ans Ohr.
»Ich bin wegen eines Todesfalls hier«, erklärte sie. »Es geht um eine schwedische Familie, einen Sebastian Söderström mit Frau und Kindern. Haben Sie davon gehört?«
»Ja, o Gott«, sagte Carita Halling Gonzales. »Ich habe es gerade heute Vormittag erfahren. Das ist absolut schrecklich. So was musste ja irgendwann passieren, bei all den Gasüberfällen hier unten.«
Annika schrieb mit, nur um sich das Zitat zu sichern.
»Kannten Sie die Familie?«
»Die Söderströms? Nein, das kann ich nicht behaupten. Obwohl, wir sind uns natürlich begegnet. Unsere Kinder gehen in dieselbe Schule.«
»Welche Schule ist das?«
»Das Marbella International College. Was wäre das denn für ein Auftrag, was müsste ich machen?«
Annika kratzte sich am Kopf. Sie reiste nicht gerne und hatte es vermieden, solange es irgend ging. Deshalb hatte sie noch nie mit einem Dolmetscher gearbeitet.
»Ich spreche zu schlecht Spanisch, um mich verständlich zu machen«, sagte sie, »und ich war noch nie hier. Ich brauche Hilfe bei den einfachsten Dingen, wie zum Beispiel, mit Leuten zu reden und mich zurechtzufinden und dorthin zu gelangen, wo ich hinmuss …«
»Ich muss das mit Nacho besprechen«, sagte Carita Halling Gonzales. »Mal sehen, ob ich ihn erreiche. Jetzt hat er natürlich Sprechstunde …«
»Nacho?«, fragte Annika.
»Mein Mann, er ist Kinderarzt. Kann ich Sie zurückrufen?«
Annika lehnte sich zurück und legte das Handy auf den Tisch. Eigentlich hätte sie Patrik anrufen müssen, auch wenn das Gespräch sowieso vollkommen nutzlos war.
Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Wand.
Sie war wirklich unheimlich müde. Als der Wecker morgens um 03 . 15 Uhr klingelte, hätte sie sich beinahe übergeben. Jetzt spürte sie, wie der Nacken sich entspannte, der Kopf zur Seite rollte und die Kinnlade schwer wurde. Die Schläfrigkeit machte ihre Glieder schlaff, floss ihr durch den ganzen Körper und … Mit einem Ruck setzte sie sich auf, blinzelte ein paarmal und griff wieder nach ihrem Handy.
Patrik meldete sich natürlich sofort.
»Ich bin an ein paar Sachen dran«, begann sie und gab sich gar nicht erst lange mit Erklärungen ab, dass sie das Handyverbot im Flugzeug selbstverständlich respektierte. Auf derlei Quatsch nahm Patrik keine Rücksicht, das wusste sie. Seiner Meinung nach war das einzige Problem der schlechte Empfang in 10000 Metern Höhe.
»Ich schreibe Details über den Gasmord«, sagte sie. »Hab ein paar Neuigkeiten erfahren. Ich habe mit einer Mutter gesprochen, deren Kinder in dieselbe Schule gehen, auf der die Kinder der Söderströms waren, deshalb mache ich noch einen Extrabeitrag über die Familie und ihren Lebensstil.«
Sie schloss die Augen und hoffte, das Klischee »Eine Idylle unter Schock« werde ihr erspart bleiben.
»Und was ist mit ›Idylle unter Schock‹?«, fragte Patrik. »Deswegen bist du doch da unten, um die Panik in der schwedischen Kolonie zu schildern.«
Bin ich das?, dachte Annika.
»Idylle unter Schock ist mein zweiter Vorname«, sagte sie. »Jedes einzelne Wort wird vom Schock durchdrungen sein. No te preocupes. «
»Hm«, machte Patrik und klang nicht überzeugt.
Zwei Piepser in der Leitung zeigten an, dass jemand sie sprechen wollte.
»Ich muss Schluss machen«, sagte sie und nahm das Gespräch an.
Es war Carita Halling Gonzales.
»Es geht, ich kann den Auftrag annehmen. Ich berechne 40 Euro pro Stunde plus Auslagen.«
»Äh, okay«, sagte Annika, die annahm, dass dies der normale Satz für Dolmetscher war. »Was bedeutet ›Auslagen‹?«
»Falls ich Sie herumfahren muss zum Beispiel, dann setze ich die Benzinkosten auf die Rechnung.«
»Ich habe ein Auto«, erwiderte Annika. »Oder besser gesagt, einen Ford. Können Sie sofort anfangen?«
»Oh, Moment, ein Streifenwagen …«
Es raschelte in der Leitung, dann blieb es eine ganze Weile still.
»Carita?«, sagte Annika versuchsweise.
»Entschuldigung, jetzt sind sie weg. Es ist verboten, während der Fahrt zu telefonieren, Nacho hat vorige Woche 60 Euro Bußgeld zahlen müssen. Wo sind Sie jetzt?«
»Lakanjada«, antwortete Annika.
»Sie Ärmste, an so einem Tag. Wollen wir uns dort
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