Kalter Süden
Niklas Linde. »Sie ist Schwedin und wohnt mit ihrer Familie hier, sie macht Übersetzungen und so was, wenn sie nicht gerade als Dolmetscherin unterwegs ist. Wir geben Ihnen ihre Nummer.«
Knut Garen holte sein Handy heraus.
»Wirklich eine entsetzliche Geschichte, das mit den Söderströms«, sagte er, während er die Nummer der Dolmetscherin in seinem Nummernverzeichnis aufrief. »Einbrüche mit K.o.-Gas sind inzwischen regelrecht an der Tagesordnung, aber wir haben noch nie erlebt, dass es so schlimm ausgeht. Hier ist sie, Carita Halling Gonzales. Haben Sie was zu schreiben?«
Annika notierte sich die Festnetz- und, wie sie annahm, die Handynummer.
»Untersuchen Sie die Morde?«, fragte sie.
»Die spanische Policía Nacional übernimmt die Ermittlungen«, erwiderte Niklas Linde. »Wir sind hier nicht operativ im Einsatz.«
»Momentan sind wir mit einer anderen Sache beschäftigt«, sagte Knut Garen. »Vielleicht haben Sie ja demnächst Gelegenheit, auch darüber etwas zu schreiben. Greco und Udyco haben vorige Woche in einem Lager in La Campana eine Ladung mit siebenhundert Kilo Kokain entdeckt. Wir glauben, dass es da eine Verbindung nach Schweden gibt.«
»Greco?«, hakte Annika nach.
»Die spanische Spezialeinheit für Drogendelikte und organisiertes Verbrechen. Wir haben viel mit denen zu tun.«
Knut Garen warf einen Blick auf seine Uhr.
»Nur noch ein paar generelle Fragen zur Kriminalität hier unten«, bat Annika. »Ich habe gelesen, dass die Costa del Sol auch Costa del Crime genannt wird. Ist das eine Übertreibung?«
»Wie man’s nimmt«, sagte Knut Garen. »Hier gibt es vierhundertzwanzig kriminelle Organisationen, die alles Mögliche betreiben, von Cannabisanbau bis zu Kokainschmuggel und Autodiebstählen, Menschenhandel und illegalen Spielhöllen. Man geht von jährlich über dreißig Auftragsmorden allein in Málaga aus. Die Sexindustrie ist enorm, sie beschäftigt über 40000 Personen. Es gibt Hunderte von bekannten Bordellen …«
»Wie häufig sind Einbrüche mit K.o.-Gas?«
»Sehr häufig«, antwortete Niklas Linde. »Oft sind Ausländer betroffen, aber natürlich auch reiche Spanier. Man glaubt, dass die Banden sich ihre Opfer schon am Flughafen aussuchen, ihnen zu ihren Häusern oder Ferienwohnungen folgen und sie mit Gas betäuben, wenn sie eingeschlafen sind. Es kommt vor, dass die Leute aufwachen und alles ist weg, inklusive der Eheringe, die sie am Finger hatten. Den Opfern geht es hinterher oft sehr schlecht, und damit meine ich nicht nur die körperlichen Nachwirkungen des Gases.«
»Darf ich Ihre Aussagen zitieren?«
»Sicher«, erwiderte er, »aber ohne meinen Namen zu nennen. Ich arbeite verdeckt.«
Sie sah ihn nachdenklich an. Was war eigentlich seine Rolle?
»Soweit ich weiß, wurden schwedische Bürger schon öfter Opfer von Gasüberfällen«, sagte sie.
»Wir haben jedes Jahr Hunderte von Fällen, in denen die Opfer Schweden waren«, erklärte Knut Garen und ließ sich noch einen Teller mit jamón serrano bringen.
»Was halten Sie von diesem speziellen Einbruch?«, fragte Annika.
Die beiden Polizisten sahen sich an.
»Ich meine«, sagte Annika, »hatten die Leute keinen Gasmelder? Ich habe gehört, dass in Nueva Andalucía alle einen Gasmelder haben …«
»Es gibt Anzeichen dafür, dass es sich hierbei um keinen gewöhnlichen Gasüberfall gehandelt hat«, sagte Niklas Linde.
»Ich weiß nicht, ob wir …«, warf Knut Garen ein.
Niklas Linde beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme.
»Die Opfer wurden nicht in ihren Betten aufgefunden«, erklärte er. »Die Leiche der Frau lag hinter der Schlafzimmertür, die des Mannes quer über dem Schreibtisch. Der Gasmelder hatte Alarm ausgelöst, vermutlich sind sie davon aufgewacht. Jemand hat ihn abgestellt.«
»Und die Kinder?«, fragte Annika und musste schlucken.
»Sie wurden im Flur vor dem Schlafzimmer der Eltern gefunden. Die Großmutter der Kinder, eine Rentnerin, war die Einzige, die in ihrem Bett lag. Vielleicht hatte sie Schwierigkeiten aufzustehen, wir wissen es nicht.«
Annika dachte fieberhaft nach. Sie machte sich nicht die Mühe, nach Details wie Namen und Alter der Opfer zu fragen, diese Angaben konnte sie von den Nachrichtenagenturen erfahren.
»Wie haben die Einbrecher das Gas ins Haus geleitet?«
»Über die Klimaanlage auf der Rückseite der Villa. Die Thermostate im Haus waren auf zwanzig Grad eingestellt, und es war kalt in der Nacht, nicht mehr als acht, neun Grad. Als die
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