Kalter Süden
beschenkt hatte, etwas zurückzugeben, schrieb über die Tennisturniere im Sonnenschein, bei denen arme Kinder großartige Chancen gewannen, über Veronicas nachweisliches Engagement für ihre Freunde und ihre Familie, über die Lebensfreude der Großmutter und dass sie ihrer Umgebung in guten wie in schweren Tagen eine große Stütze gewesen war.
Am Ende merkte Annika, dass sie dasaß und weinte.
Nachdem sie den letzten Text und die eingescannten Schulfotos gemailt hatte, ging sie zu Bett, ohne sich die Zähne geputzt zu haben.
Das Letzte, woran sie dachte, war Jimmy Halenius und das Foto von ihnen beiden, das am nächsten Morgen im Konkurrenten erscheinen würde.
Sie horchte in sich hinein, ob es ihr etwas ausmachte, aber bevor sie zu einer Antwort gekommen war, hatte der Schlaf sie eingeholt.
Mittwoch, 5 . Januar
Es regnete. Annika stand am Zaun vor dem Anwesen der Familie Söderström. Das Haus war durch den Regen kaum auszumachen. Mit der Stärke von Wasserfällen fegten die Schauer über das Gelände.
»Costa del Wolkenbruch«, sagte Carita Halling Gonzales und kam unter einem riesigen Golfschirm zu ihr herüber. »Hört sich nicht so wirklich einladend an, oder?«
Sie drückte auf den Klingelschalter und blinzelte zum Haus.
»Glauben Sie wirklich, dass der Polizist von gestern hier ist?«, fragte Annika. »Und dass er uns reinlässt?«
»Ja doch, der ist hier«, versicherte Carita. »Darauf können Sie sich verlassen.«
Sie blickte Annika an.
»Die große Kamera können Sie aber nicht mitnehmen«, fuhr sie fort. »Sonst ist ihm sofort klar, dass etwas nicht stimmt.«
Oben im Haus ging die Terrassentür auf, und Annika lief zurück zum Auto und warf die Kameratasche auf den Rücksitz.
»Kann ich die Sachen einfach hierlassen?«, rief sie. »Oder werden sie geklaut?«
»Ich glaube, diese Straße hat ihre Einbruchsquote für dieses Jahr erfüllt«, sagte Carita und winkte dem Polizisten zu.
Durch den Regen konnte Annika undeutlich erkennen, wie der Gesetzeshüter sich dem Zaun näherte. Sie überprüfte, ob sich ihr Handy in der Tasche befand. Sie hatte schon häufiger Bilder damit gemacht, unter anderem im Goldenen Saal, als der Mord auf der Nobelpreisgala geschah. Die Fotos waren natürlich nicht besonders gut, aber für die Zeitung reichte es.
»Kommen Sie?«, rief Carita.
Der Polizist schob das Eisentor auf, und Annika beeilte sich, der Dolmetscherin zu folgen.
»I am sorry« , sagte er in holprigem Englisch und reichte Annika förmlich die Hand.
Sie nickte und wischte sich den Regen aus dem Gesicht.
Der Pool vor dem Haus war riesig. Die Liegestühle aus dunklem Holz sahen im Regen schwarz aus. Die Aussicht konnte Annika nicht beurteilen, denn die Welt jenseits des Grundstücks verschwand hinter Regenvorhängen.
»Auf diesem Weg sind sie reingekommen«, erklärte der Polizist auf Englisch und deutete auf die aufgebrochene Terrassen-tür.
»Wollen Sie, dass ich übersetze?«, fragte Carita.
»Englisch verstehe ich schon«, sagte Annika.
Sie betraten das Haus, und der Polizist schloss die Tür hinter ihnen. Die Stille, die sie umgab, war ebenso kompakt wie der Regen. Auf einmal fiel Annika das Atmen schwer.
»Was ist mit dem Gas?«, fragte sie und drehte sich hastig zu dem Polizisten um. »Ist es wirklich ganz weg?«
»Schon längst«, antwortete er.
Sie standen in einer großen Eingangshalle, die bis zum Dach hinauf offen war, mindestens sechs Meter hoch, vielleicht sogar mehr. Zwei Treppen, eine auf jeder Seite, führten ins Obergeschoss, und in der Mitte hing ein riesiger, schmiedeeiserner Kronleuchter. Der Fußboden aus cremeweißem Marmor war glatt und eiskalt. In Wandnischen standen Kopien antiker Statuen.
Annika wurde das Gefühl nicht los, nicht richtig atmen zu können. Die Luft war feucht und muffig.
»Wo wollen Sie anfangen?«, fragte der Polizist, und Annika schrak auf.
Sie kramte in den Tiefen ihrer Handtasche und zog eines von Ellens vergessenen Kuscheltieren hervor, einen kleinen gelben Hund, den das Mädchen in einer Lotterie im Vergnügungspark Gröna Lund gewonnen hatte.
»Meine Tochter«, sagte sie, »wollte gerne, dass Mü den hier bekommt.«
»Sie haben eine Tochter?«, fragte der Polizist.
»Genauso alt wie Leo«, antwortete sie, woraufhin der Polizist sie die Marmortreppe hinaufführte.
Annika bewegte sich so leise wie möglich hinter ihm, und Carita folgte ihnen mit ein paar Schritten Abstand. Ein kalter Luftzug ging durchs Haus, irgendwo musste ein
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