Kalter Süden
sie entschuldigend.
»Sophia und ich trinken ein Glas Wein«, antwortete er. »Die Kinder sehen das Kinderprogramm. Ist was Besonderes?«
Sie setzte sich aufs Bett und zog die Knie unters Kinn.
»Ich wollte nur mit ihnen reden«, sagte sie.
Er seufzte theatralisch, rief: »Kalle, Mama ist am Telefon«, und Annika hörte ihren Sohn zurückrufen: »Aber jetzt läuft gerade der Kleine Sportspiegel !«
»Du hast harte Konkurrenz«, bemerkte Thomas, aber eine Sekunde später hörte sie trappelnde Füße und Geraschel.
»Hallo, Mama!«, meldete sich Ellen.
Annikas Schultern entspannten sich, und ein Lächeln stieg aus ihrem Herzen auf.
»Hallo, Spätzchen, bist du auf dem Sofa eingeschlafen?«
Zögerliches Schweigen.
»Nur ein bisschen«, sagte das Mädchen. »Kriegen wir einen Hund?«
»Einen Hund? Aber wir können keinen Hund haben, wir wohnen doch nur in einer kleinen Wohnung, da ist kein Platz für Hunde.«
Ellen klang zutiefst erstaunt, als sie antwortete.
»Anna hat einen Hund gekriegt, einen braunen, und der ist viel kleiner als eine Wohnung.«
Annika unterdrückte ein Seufzen. Diese Diskussion kam jedes Mal wieder auf, wenn irgendein Spielkamerad im Kindergarten ein neues Haustier bekommen hatte.
»Es ist ganz toll, dass du Tiere magst, das tue ich auch, aber wir müssen auch daran denken, was für die Tiere am besten ist. Ihr könnt mit Zico spielen, wenn ihr draußen bei Oma und Opa auf Vaxholm seid, das ist doch auch schön, oder?«
»Zico ist lieb.«
»Er ist superlieb. Was hast du denn heute im Kindergarten gemacht?«
Ihre Tochter, die offenbar eine ganze Weile vor dem Fernseher geschlafen hatte, erzählte mit frischer Lust und Energie von ihren Aktivitäten des Tages. Als der zweifache Weltmeister im Ringen, Ara Abrahamian, fertig geredet und Preise im Fernsehstudio verteilt hatte, kam Kalle angelaufen, um ebenfalls zu berichten. Keine Krisen, keine Traumata, keine miesen kleinen Gören, die ihre Minderwertigkeitskomplexe an einem ihrer Kinder ausgelassen hatten, zumindest heute nicht.
Sie sagte gute Nacht mit vielen Küsschen und Umarmungen, und dann saß sie minutenlang da mit einem warmen, traurigen Stein in der Brust.
Draußen war es stockdunkel geworden. Ein Rettungswagen jagte mit Sirenengeheul auf der Autobahn vorbei. Sie erhob sich vom Bett und zog die Vorhänge zu. Machte das Deckenlicht und die Schreibtischlampe an und packte ihren Laptop aus. Spürte, wie hundemüde sie war.
Wie viele Male hatte sie diesen Laptop schon ein- und ausgepackt?
Jedes Mal, wenn sie ihren Arbeitstag in der Redaktion begann und beendete, jedes Mal, wenn sie nach Hause kam oder von zu Hause aufbrach.
Ihr Kreuz schmerzte, als sie sich hinsetzte. Der Stuhl knarrte.
Sie loggte sich in den Internetzugang des Hotels ein, 15 Euro pro Tag, der reinste Wucher. Stützte die Stirn eine Minute in die Hände, bevor sie anfing. Nahm dann ihr Telefon und rief Patrik an.
»Annika«, rief er, »wo warst du denn den ganzen Tag, sag mal?«
»Hab im Café gesessen und gefaulenzt«, sagte sie. »Ich schicke dir nachher drei Artikel: Der Gasmord, Die Familie, Idylle unter Schock. Alles mit Fotos. Wie viel soll ich schreiben?«
»Ich weiß ja nicht, was du hast«, sagte Patrik.
»Wie viel Platz habt ihr freigehalten?«
»Drei Doppelseiten plus Mitte, das heißt, die machen Berit und der Sport.«
»Ich schicke eins nach dem anderen, dann könnt ihr schon mal anfangen«, sagte Annika. »Den ersten hast du in einer Stunde.«
Anschließend wählte Annika die Mobilnummer von Niklas Linde.
Er meldete sich nach dem vierten Klingeln, im Hintergrund wummerte Discomusik.
»Annika Bengtzon hier«, sagte sie. »Ich habe nur eine kurze Frage: Hat die spanische Polizei irgendwelche Spuren der Täter gefunden?«
Wumm wumm wumm .
»Jetzt bin ich aber enttäuscht«, sagte er, und Annika biss sich auf die Lippe. Was hatte sie nun schon wieder falsch gemacht?
Irgendwo in der Kneipe kreischte eine Frau vor Lachen.
»Ich hatte gehofft, dass Sie verrückt nach meinem Körper sind«, sagte Niklas Linde, »und jetzt sind Sie bloß scharf auf mein Gehirn.«
Okay, so einer war er also.
»Ich glaube, der Herr hat wohl schon einige Gläser Vino intus«, sagte Annika und warf einen Blick auf die Uhr. Halb neun. Im nächsten Moment schlug der Hunger zu – seit dem unsäglichen Sandwich heute Morgen in der Sardinenbüchse hatte sie nichts mehr gegessen.
»Und ein paar cavas «, ergänzte er. »Wie sieht’s bei Ihnen aus, Lust auf ein
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