Kalter Süden
sagte Lenita Söderström. »Ich war schon mal hier.«
Die Frau ging nach draußen, auf der Straße nach links, vorbei am Eingang des gigantischen Warenhauses El Corte Inglés und dann im Einkaufszentrum Marina Banús die Treppe hinunter. Dort blieb sie stehen und sah sich erstaunt um. Elegante Modeboutiquen und zwei schicke Cafés füllten die gesamte untere Etage des kleinen Shoppingcenters.
»Aber ich weiß genau, dass es hier war …«, beteuerte sie
»Kein Problem«, sagte Annika und ging auf eines der Cafés zu.
Mit zögernden Schritten folgte ihr Lenita Söderström.
»Dass sich die guten und preiswerten Restaurants nie halten«, sagte sie. »Immer werden sie von den großen Ketten verdrängt.«
An einem kleinen runden Cafétisch setzte sie sich Annika gegenüber. Während sie die Speisekarte studierte, musterte Annika die Frau unauffällig. Die Spezialitäten des Hauses waren Bio-Smoothies, frisch gerösteter Kaffee und mit Liebe angerichtete Salate. Sie wusste, dass Lenita zweiundvierzig Jahre alt war, derselbe Jahrgang wie Sebastian, aber sie wirkte älter. Sie hatte aschblond gefärbtes Haar, die Andeutung eines Doppelkinns und eine vollkommen gerade Figur, ohne Hüften oder Taille.
»Diese neuartigen Lokale haben ein Talent, alles kompliziert zu machen«, sagte Lenita Söderström und legte die Speisekarte zur Seite. »Ich möchte Lasagne, wenn sie die haben, sonst nehme ich einen Muffin. Und ein Glas Roten.«
In ihrem gebrochenen Spanisch bestellte Annika zweimal Wok mit Hühnchen, dazu zwei agua con gas und una copa de vino tinto .
Lenita Söderström seufzte abgrundtief.
»Wenn Sie wüssten«, sagte sie und schaute zu Annika auf. »Es ist so schrecklich, nicht zu wissen, wo sie ist. Das macht mich so wütend und verzweifelt. Sie könnte doch wenigstens anrufen!«
Annika nahm Block und Stift aus der Tasche.
»Ist Suzette zum ersten Mal weg? Oder hat sie sich schon mal für längere Zeit von zu Hause entfernt, ohne zu sagen, wo sie hingeht?«
Lenita Söderström wand sich unbehaglich auf ihrem Stuhl.
»Das tut ja wohl jeder Teenager. Und sie macht das nur, weil sie genau weiß, wie sehr ich mich dann sorge. Ich kann nicht schlafen, nichts essen …«
Das Essen wurde gebracht, und Lenita Söderström stürzte sich auf das Wokgericht, ohne noch einmal nach ihrer Lasagne zu fragen.
»Suzette denkt nur an sich«, sagte sie zwischen zwei Bissen. »Seit sie vier Jahre alt ist, geht es immer nur ›ich, ich, ich‹.«
Sie kippte den Wein hinunter und ließ sich nachschenken.
Annika sagte erst einmal nichts. Die Frau war gestresst und stand unter Druck. Man musste ihr Zeit lassen.
»Und dann Sebastian, der nichts als Hockey im Kopf hatte. Es war nicht gerade lustig, da in Amerika zu sitzen und kein Wort zu verstehen. Dazu noch mit einem Kind, das die ganze Zeit nur schreit.«
Sie trank einen Schluck Wein.
»Wo könnte Suzette sich Ihrer Ansicht nach aufhalten?«
Lenita Söderström lehnte sich über den Tisch.
»All die Jahre habe ich mich alleine um sie kümmern müssen«, sagte sie nachdrücklich. »Jetzt war endlich mal Sebastian an der Reihe, ein bisschen Verantwortung zu übernehmen, und was passiert? Sie verschwindet nach nur drei Wochen. Das ist total verantwortungslos!«
Sie stöhnte und ließ sich gegen die Rückenlehne des ultramodernen Stuhls sinken.
»Wann haben Sie zum letzten Mal von Suzette gehört?«
»Sie rief an und teilte mir mit, dass sie bei dieser Frau einziehen wollte, die den Reiterhof oben in den Bergen hat.«
»Am Donnerstag also.«
»Nach unserem Telefonat gestern bin ich auf ihre Facebook-Seite gegangen, dort war sie seither auch nicht mehr aktiv.«
»Könnte ihr etwas zugestoßen sein?«, fragte Annika vorsichtig.
Der Frau stiegen Tränen in die Augen.
»Ich habe von Sebastians Tod aus der Zeitung erfahren«, sagte sie mit dünner Stimme. »Stellen Sie sich vor, ich erfahre das aus einer Schlagzeile in irgendeinem Schmierblatt. Wissen Sie, wie schrecklich das war?«
Annika nickte und fragte sich, ob das Schmierblatt wohl ihre Zeitung gewesen war.
»Ich habe sofort auf Suzzies Handy angerufen, aber es war ausgeschaltet. Also habe ich eine Nachricht hinterlassen, aber sie hat nicht zurückgerufen. Ich verstehe nicht, wie sie mir das antun kann.«
»An Silvester haben Sie nicht miteinander gesprochen?«, fragte Annika nach. »Eine SMS um Mitternacht oder so etwas?«
»Ich war mit ein paar Kollegen auf einer Kreuzfahrt, da war der Empfang so
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