Kalter Süden
vielen, jetzt würden Haftanträge und Gerichtsprozesse folgen.
Sie ließ die Zeitung auf die Knie sinken und überlegte, wie sie sich mit diesem glockenreinen Auftragsartikel fühlte.
Es war nichts Schlimmes daran, stellte sie fest. Irgendjemand profitierte immer von einem journalistischen Text. Der einzige Unterschied war, dass sie in diesem Fall vollkommen mit der Manipulation einverstanden war, die sie der Redaktionsleitung natürlich niemals gestehen würde.
Sie blätterte durch den Rest der Zeitung. In Nepal war ein Hubschrauber der Vereinten Nationen abgestürzt. In Skåne würde das erste FKK -Bed&Breakfast Schwedens eröffnen. Eine Sängerin mit Plastikbusen hatte es abgelehnt, als Ersatznummer für den Grand Prix herzuhalten, weshalb man beim Fernsehsender SVT eine Krisensitzung einberufen hatte.
Annika ließ die Zeitung zu Boden segeln und hob den Konkurrenten auf.
Auf der Leitartikel-Seite sprang ihr als Erstes das Porträtfoto ins Auge, das sonst im Abendblatt unter ihren Artikeln zu stehen pflegte. Daneben ein Porträt von Jimmy Halenius. Zwischen ihnen schwebte das Foto, das vor dem Restaurant geschossen worden war.
»In den Händen der Macht« lautete die Schlagzeile.
Der Text war ein beleidigendes Machwerk erster Güte, gespickt mit Andeutungen wie »Wie viel haben sie wirklich getrunken?« und »Sollten Jäger und Beute intimen Umgang miteinander pflegen?« samt der Frage »Hat Halenius seine Aufgaben vernachlässigt?«.
Sie nahm das Telefon wieder zur Hand und rief Anders Schyman an.
»Haben Sie den Leitartikel im Konkurrenten gesehen?«, fragte sie, ohne sich zu melden.
»Ich habe mit ihrem Chefredakteur gesprochen«, antwortete Anders Schyman. »Wenn sie den Unsinn nicht lassen, werden wir jede Kneipe rund um ihre Redaktion belagern, all ihre Reporter fotografieren und ihre Quellen auffliegen lassen. Ich werde morgen mit einem eigenen Leitartikel darauf antworten. Wir werden niemals unsere Quellen preisgeben, niemals irgendwelche Wirtshausrechnungen präsentieren und niemals über den Inhalt vertraulicher Gespräche Auskunft geben.«
»Gut«, sagte Annika.
»Worüber haben Sie übrigens gesprochen? Wie viel haben Sie getrunken? Und wer zum Teufel hat bezahlt?«
Sie schrumpfte zu einem Häufchen zusammen.
»In Ordnung«, sagte sie. »Also der Reihe nach: Ersteres geht Sie nichts an, zweite Frage, ich habe Wasser getrunken, und drittens, Halenius hat bezahlt, nicht das Ministerium.«
»Woher kennen Sie ihn?«
»Ich bin mit seinem Cousin zur Schule gegangen.«
»Ich habe Sie vorhin am Telefon gehört. Sie müssen auf Ihren Sprachgebrauch achten, verdammt noch mal.«
Der Chefredakteur legte auf.
Sie blieb noch einen Augenblick auf dem Bett sitzen und kämpfte gegen eine massive Welle von Selbstmitleid.
Sie riss sich für diese Scheißzeitung ein Bein nach dem anderen aus, und was war der Dank? Außer Ansprüchen, Kritik und öffentlichen Beschimpfungen für die Wahl ihrer Abendbegleitung?
Sie weinte eine halbe Minute, hauptsächlich aus Müdigkeit, dann stand sie auf, ging in den Flur und holte ihre Reisetasche. Das Badezimmer war sowohl mit einer Waschmaschine als auch mit einem Trockner ausgestattet. Sie leerte die Tasche direkt in die Maschine und startete das Kurzprogramm. Den Laptop trug sie in die Küche, steckte das Modem in die Telefonbuchse und betete zu Gott, dass das Internet freigeschaltet war.
Es funktionierte.
Sie sank auf einen Küchenstuhl und surfte durch den Cyberspace.
Außer den üblichen Katastrophen, dem Tratsch und den politischen Kabbeleien hatte sich in der Welt nichts ereignet.
Sie öffnete ihr Facebook-Profil. Elf neue Nachrichten.
Eine von Amanda Andersson, eine von Sandra Holgersson, zwei von Klara Evertsson-Hedberg und sieben von Polly Sandmann.
Suzette Söderströms beste Freundinnen hatten alle geantwortet. Annikas Puls stieg, als sie die neuste Nachricht anklickte. Sie war von Amanda.
»Ich find, Sie sin eine Skandalreporterin, die sich an dem Unglück von andern Menschn hochzieht«, las sie.
»Lern du erst mal schreiben«, sagte Annika laut und klickte die Mail von Sandra an.
»Arbeiten Sie wirklich für die Zeitung? Können Sie mir eine Karte für Pop Idol besorgen?«
Einen Moment lang überlegte sie, ob sie antworten sollte, ließ es dann aber sein.
Klara war eher der wirtschaftlich denkende Typ. Sie bot an, sich für 10000 Kronen interviewen zu lassen. In ihrer zweiten Mail hatte sie die Gage bereits auf 500 gesenkt.
Auch ihr
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