Kalter Süden
die Nudeln an die Seite – neuerdings sollte man ja nicht mehr das Fett, sondern die Kohlenhydrate meiden.
Dann ging sie durch die belebten Straßen nach Hause, im Bauch ein undefinierbares Kribbeln.
Mittwoch, 27 . April
Annika schnappte nach Luft, als sie auf die Flugzeugtreppe hinaustrat. Die Hitze und der Kerosingestank brannten ihr in den Lungen und ließen ihre Augen tränen.
Lotta, die Fotografin, trat neben sie.
»Ah«, seufzte sie genüsslich. »Erinnert mich an Teheran. Sagte ich schon, dass ich dort gearbeitet habe?«
»Du hast es erwähnt«, erwiderte Annika, hängte sich die Tasche über die Schulter und stieg die Treppe hinunter zum Bus, der sie zum Terminal bringen sollte.
Die Luft flimmerte über den Zementplatten. Die weiter entfernten Flugzeuge waren verzerrt, als befänden sie sich hinter Riffelglas. Annika atmete mit offenem Mund. Wie viel Grad waren es hier wohl? Hundert?
»Es war so malerisch in Teheran«, fuhr Lotta fort, zwängte sich in den Bus und rammte den Rucksack mit ihrer Fotoausrüstung einer alten Dame direkt ins Gesicht. »Hier wirkt alles viel zurechtgemachter. Man will ja den Ausdruck einfangen, den Charakter der Gebäude und der Menschen …«
Sie holte tief Luft und schloss die Augen.
»Ah«, sagte sie genießerisch. »Fremde Kulturen sind doch was Herrliches.«
Annika blickte sich um. Sie hatte schon festgestellt, dass Thomas sich nicht an Bord dieser Maschine befand, aber sicherheitshalber überzeugte sie sich noch einmal. Regierungsbeamte nahmen keine per Internet gebuchten Billigflieger, wenn sie dienstlich ins Ausland reisten, das hätte sie sich auch denken können.
Nach nur zehn Minuten bekamen sie ihre Koffer und machten sich gleich auf den Weg zu den Autovermietungen. Annika marschierte zielsicher an der Reihe der Schalter vorbei und nahm Kurs auf den Helle-Hollis-Tresen. Erst kurz davor merkte sie, dass die Fotografin nicht mehr hinter ihr war. Verwirrt blieb sie stehen, dann machte sie kehrt und ging denselben Weg zurück. Sie fand Lotta am Avis-Schalter.
»Das ist das Schöne an den großen Firmen«, sagte Lotta. »Die sind wirklich seriös, es gibt überall Vertretungen, und sie bieten eine Art von Kontinuität, die ich wichtig finde, wenn so viel anderes um einen herum neu ist …«
»Äh, aha«, sagte Annika. »Ich dachte, ich soll fahren.«
»Als Fotografin bin ich es gewohnt, den Chauffeur zu spielen«, sagte Lotta.
Annika hob die Hände kapitulierend in die Höhe.
Lotta ließ sich einen Ford Escort geben, das gleiche Modell, das Annika voriges Mal gemietet hatte. Sie gingen ins Parkhaus und suchten den Wagen. Annika schaltete ihr Handy an und fand eine Nachricht auf der Mailbox: Carita Halling Gonzales teilte ihr mit, dass sie Dienstag und Mittwoch keine Zeit habe, aber Donnerstag und eventuell Freitag arbeiten könne. Annika solle doch einfach eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Das tat sie auch.
»Am besten, wir checken erst mal im Hotel ein«, sagte Lotta. »Es ist doch immer schön, auszupacken und sich frisch zu machen, bevor man anfängt zu arbeiten.«
Annika sah auf ihre Armbanduhr.
»Die Kongresshalle ist nur fünf Minuten von hier entfernt«, sagte sie, »und die Pressekonferenz fängt in einer Dreiviertelstunde an. Bis dahin schaffen wir es nicht nach Puerto Banús und zurück.«
Lotta blickte auf sie herab und zog die Augenbrauen hoch.
»Wer hat die Termine denn so eng gelegt?«
Annika zuckte mit den Schultern.
Nach einer knappen Viertelstunde hatten sie das Auto gefunden. Sie verstauten ihr Gepäck in dem kleinen Kofferraum, Lotta setzte sich hinters Steuer, bekam den Motor in Gang und manövrierte dann zur Ausfahrt. Annika öffnete das Handschuhfach und nahm den Vertrag heraus, den Lotta dort hineingestopft hatte. Avis war dreimal so teuer wie Helle Hollis.
Die Sonne schien grellweiß und löste alle Konturen auf. Annika und Lotta fummelten geblendet nach ihren Sonnenbrillen.
»Wohin jetzt?«, fragte Lotta und bremste.
Annika setzte ihre Brille auf und blinzelte durch die Frontscheibe. Sie erkannte nichts wieder. Entweder benutzte Avis eine ganz andere salida aus dem Parkhaus als Helle Hollis, oder die Bauarbeiten waren inzwischen so weit fortgeschritten, dass sämtliche früheren Orientierungspunkte verschwunden waren. Das Einzige, was sich nicht verändert hatte, war das Gewimmel von Pkws und Menschen und Lastwagen und Zementmischern. Provisorische Schilder in Rot und Gelb wiesen von Überführungen
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