Kalter Tod
damit befassen. Wenn Sie mir nämlich beizubringen versuchen, wie man das Ding da bedient, sitzen wir morgen Abend noch hier.«
Ferras nickte und grinste.
»Also«, sagte er, »wenn er eine Nummer angerufen hat oder von einer Nummer angerufen wurde, die in seinem Adressbuch stand, wird sie mit dem Namen angegeben, unter dem die Nummer in das Adressbuch eingetragen ist.«
»Aha.«
»Es zeigt, über den ganzen Nachmittag verteilt, jede Menge Gespräche an, mit seinem Büro, mit verschiedenen Kliniken und mit Namen aus dem Adressbuch – wahrscheinlich Ärzte, mit denen er zusammenarbeitete. Drei Telefonate hat er zum Beispiel allein mit ›Barry‹ geführt. Das ist wahrscheinlich sein Partner. Ich habe im Internet im Handelsregister nachgesehen, und K and K Medical Physicists gehört Kent und einem gewissen Barry Kelber.«
Bosch nickte.
»Da fällt mir ein, am Morgen müssen wir gleich als Erstes mit dem Partner sprechen.«
Bosch beugte sich über Ferras’ Schreibtisch, um an den Notizblock auf seinem Schreibtisch zu kommen. Darauf notierte er sich den Namen Barry Kelber, während Ferras weiter das Anrufverzeichnis des Handys durchging.
»Jetzt ist es nach sechs Uhr abends, und er fängt an, abwechselnd zu Hause und das Handy seiner Frau anzurufen. Wenn mich nicht alles täuscht, wurde keiner dieser Anrufe beantwortet, weil die Anrufe im Drei-Minuten-Takt erfolgten. Er rief immer wieder an. Das war schon, nachdem er von seiner Frau diese Mail erhalten hatte.«
Für Bosch begann sich ein etwas schärfer umrissenes Bild abzuzeichnen. Kent hatte einen ganz normalen Arbeitstag gehabt. Er hatte zahlreiche Telefongespräche mit Institutionen und Leuten, die er kannte, geführt und dann von seiner Frau diese E-Mail erhalten. Er hatte das beigefügte Foto gesehen und angefangen, immer wieder zu Hause anzurufen. Sie ging jedoch nicht ans Telefon, was seine Befürchtungen verstärkte. Schließlich fuhr er los und tat, wozu er in der E-Mail aufgefordert wurde. Aber obwohl er sich an die Anweisungen hielt, brachten sie ihn auf dem Aussichtspunkt um.
»Was ist da oben also schiefgelaufen?«, fragte Bosch laut.
»Wie meinen Sie das, Harry?«
»Am Aussichtspunkt. Ich verstehe immer noch nicht, warum sie ihn umgebracht haben. Er hat doch getan, was sie wollten. Er hat ihnen das Zeug ausgehändigt. Was ist schiefgelaufen?«
»Keine Ahnung. Vielleicht haben sie ihn umgebracht, weil er ihre Gesichter gesehen hat.«
»Der Zeuge sagt, der Schütze trug eine Maske.«
»Vielleicht ging ja auch gar nichts schief. Vielleicht hatten sie von Anfang an geplant, ihn zu erschießen. Sie haben sich diesen Schalldämpfer gebastelt, wissen Sie noch? Und wenn dieser Kerl Allah gebrüllt hat, sieht das eigentlich nicht danach aus, dass irgendetwas schiefgelaufen ist. Hört sich eher so an, als wäre es Teil ihres Plans gewesen.«
Bosch nickte.
»Aber warum haben sie nur ihn umgebracht und sie nicht auch, wenn es so geplant war? Warum haben sie einen Zeugen am Leben gelassen?«
»Keine Ahnung, Harry. Aber gibt es bei diesen strenggläubigen Muslimen nicht so eine Regel, dass man Frauen nichts tun darf? Weil man dann nicht ins Nirwana oder in den Himmel kommt oder wie sie dazu sagen?«
Bosch antwortete nicht auf die Frage, weil er nichts über die kulturell bedingten Gepflogenheiten wusste, auf die sein Partner etwas nonchalant angespielt hatte. Allerdings verdeutlichte ihm die Frage, wie wenig er in diesem Fall in seinem Element war. Er war es gewöhnt, nach Mördern zu fahnden, die von Gier, Lust oder sonst einer der sieben Todsünden angetrieben wurden. Religiöse Extremisten standen normalerweise nicht auf seiner Liste.
Ferras legte den BlackBerry beiseite und wandte sich wieder seinem Computer zu. Wie viele Detectives benutzte er lieber seinen eigenen Computer, weil die von der Polizei gestellten Geräte alt und langsam waren und meistens stärker mit Viren verseucht als eine Nutte vom Hollywood Boulevard.
Er speicherte, woran er gerade gearbeitet hatte, und öffnete sein E-Mail-Programm. Die von Kents Handy weitergeleitete Mail war inzwischen eingegangen. Ferras öffnete sie und stieß einen Pfiff aus, als er das Foto von Alicia Kent sah, wie sie nackt und gefesselt auf dem Bett lag.
»Das dürfte seine Wirkung wohl kaum verfehlt haben«, sagte er.
Das hieß, er konnte verstehen, warum Kent das Caesium so anstandslos herausgerückt hatte. Ferras war noch nicht einmal ein Jahr verheiratet, und seine Frau erwartete ein Kind.
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