Kalter Tod
Spurensicherung von einem Tatort entfernt wurde, musste in dieses Verzeichnis eingetragen werden. Das diente dem Zweck, die Beweismittelkette verfolgen zu können.
Er stellte fest, dass in das Verzeichnis mehrere Dinge eingetragen waren, die von der Spurensicherung aus dem Haus der Kents entfernt worden waren, hauptsächlich winzige Haar- und Faserspuren. Das war zu erwarten gewesen, hieß aber nicht, dass irgendwelche von diesen Spuren auch tatsächlich von den Tätern stammten.
In all seinen Jahren als Ermittler war Bosch jedoch noch kein einziges Mal auf einen makellosen Tatort gestoßen. Es war schlicht und einfach ein Naturgesetz: Wenn ein Verbrechen geschah, blieben in der Umgebung immer Spuren zurück. Es gab immer einen Transfer. Das Problem war nur, ihn zu finden.
In das Verzeichnis war jeder Kabelbinder einzeln eingetragen, danach kamen zahlreiche Haar- und Faserproben, deren Fundorte vom Teppichboden des Schlafzimmers bis zum Siphon des Waschbeckens im Gästebad reichten. Das Mauspad des Computers im Arbeitszimmer war ebenso auf der Liste wie der Nikon-Objektivdeckel, der unter dem Bett im Schlafzimmer gefunden worden war.
Der letzte Eintrag auf der Liste war für Bosch der interessanteste. Das Beweismittel war einfach als Zigarettenasche deklariert.
Bosch konnte sich nicht denken, welchen Wert als Beweismittel Zigarettenasche haben könnte.
»Ist in der Spurensicherung noch jemand, der im Haus der Kents war?«, fragte er Ferras.
»Vor einer halben Stunde schon noch«, antwortete Ferras. »Buzz Yates und die Fingerabdruck-Spezialistin, deren Namen ich mir einfach nicht merken kann.«
Bosch griff nach dem Telefon und rief in der Spurensicherung an.
»Scientific Investigation Division, Yates.«
»Buzz, genau Sie wollte ich haben.«
»Mit wem spreche ich?«
»Harry Bosch. Was ist mit dieser Zigarettenasche, die Sie im Kent-Haus gefunden haben?«
»Ach ja, das war eine Zigarette, die völlig runtergebrannt ist, bis nur noch Asche übrig war. Die FBI-Agentin, die dort war, hat mich gebeten, sie mitnehmen zu dürfen.«
»Wo war sie?«
»Sie hat sie auf dem Spülkasten im Gästebad gefunden. Als ob jemand beim Pinkeln seine Zigarette dort abgelegt und dann vergessen hätte. Sie brannte ganz runter und ging schließlich aus.«
»Es war also nur noch die Asche übrig, als sie sie fand.«
»Richtig. Eine graue Raupe. Aber sie wollte, dass wir sie für sie eintüten. Sie meinte, im Labor könnten sie vielleicht was damit …«
»Augenblick, Buzz. Sie haben ihr das Beweismaterial gegeben?«
»Na ja, in gewisser Weise. Doch. Sie …«
»Was soll das heißen, ›in gewisser Weise‹? Haben Sie oder haben Sie nicht? Haben Sie Agent Walling die Zigarettenasche gegeben, die Sie von meinem Tatort genommen haben?«
»Ja«, gab Yates zu. »Aber erst nach langem Hin und Her, Harry. Sie sagte, im FBI-Labor könnten sie die Asche analysieren und feststellen, was für ein Tabak es war, und damit könnten sie dann das Herkunftsland bestimmen. Wir können so was nicht, Harry. Nicht mal annähernd. Sie sagte, es wäre wichtig für die Ermittlungen, weil wir es möglicherweise mit Terroristen aus dem Ausland zu tun haben. Deshalb habe ich eingewilligt. Sie erzählte, sie hätte mal eine Brandstiftung gehabt, wo sie einen Fitzel Asche von der Zigarette gefunden hätten, die den Brand ausgelöst hat. Sie hätten sogar feststellen können, welche Marke es war, und damit hätten sie eine Verbindung zu einem bestimmten Verdächtigen herstellen können.«
»Und das haben Sie ihr geglaubt?«
»Ähm … klar, ich habe ihr geglaubt.«
»Jedenfalls haben Sie ihr aber meinen Beweis gegeben.«
Bosch sagte es in resigniertem Ton.
»Harry, das ist nicht Ihr Beweis. Wir arbeiten und spielen alle im selben Team, oder etwa nicht?«
»Klar, Buzz, tun wir.«
Bosch legte auf und fluchte. Ferras fragte ihn, was los sei, aber Bosch wischte die Frage beiseite.
»Ach nichts. Wieder nur mal typisch FBI.«
»Haben Sie eigentlich schon ein wenig geschlafen, bevor Sie den Anruf bekommen haben?«
Bosch sah seinen Partner an. Er wusste genau, worauf Ferras mit dieser Frage hinauswollte.
»Nein«, antwortete Bosch. »Ich war noch wach. Aber mit Schlafmangel hat mein Frust über das FBI nichts zu tun. Ich mache das schon länger, als Sie auf der Welt sind. Ich weiß, was ich gegen Schlafmangel tun muss.«
Er hielt seinen Kaffeebecher hoch.
»Prost.«
»Gut ist das trotzdem nicht, Partner«, erwiderte Ferras. »Früher oder später
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