Kalter Tod
entgegenzunehmen.
»Setzen Sie sich«, sagte er, an Bosch gewandt. »Ich habe ungefähr fünf Minuten Zeit, und meinen Kaffee bezahle ich selbst.«
Bosch kehrte an seinen Tisch zurück, während der Polizeichef seinen Kaffee und die Doughnuts bezahlte. Er setzte sich und wartete. Währenddessen ging der Chief mit seinen Einkäufen an eine andere Theke und gab Sahne und Süßstoff in seinen Kaffee. Bosch war der Auffassung, dass der Chief dem LAPD guttat. Er hatte politisch ein paar Schritte in die falsche Richtung unternommen und bei der Besetzung der Polizeiführung einige fragwürdige Entscheidungen getroffen, aber er war maßgeblich für den Anstieg der Moral der Truppe verantwortlich.
Das war keine leichte Aufgabe gewesen. Der Chief hatte eine Polizeibehörde geerbt, die infolge eines bundesgerichtlichen Beschlusses, der aufgrund der Rampart-Korruptionsstichprobe des FBI und unzähliger anderer Skandale getroffen worden war, bei all ihren Vorgehensweisen und Ergebnissen der Begutachtung und Zustimmung bundesbehördlicher Aufsichtsgremien unterworfen war. Das hatte zur Folge, dass die Polizei den Bundesbehörden nicht nur über jede Kleinigkeit Rechenschaft ablegen musste, sondern auch den notwendigerweise damit verbundenen Papierkram zu bewältigen hatte. Nachdem sie ohnehin schon unterbesetzt war, musste man sich manchmal fragen, wo angesichts dessen überhaupt noch Zeit für die eigentliche Polizeiarbeit blieb. Aber irgendwie war die Truppe unter dem neuen Polizeichef wieder näher zusammengerückt, um das schier Unmögliche in Angriff zu nehmen. Und tatsächlich waren die Kriminalitätsstatistiken nach unten gegangen, was in Boschs Augen hieß, dass die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass auch die tatsächliche Kriminalität zurückgegangen war – er betrachtete Kriminalitätsstatistiken sonst eher mit Skepsis.
Aber einmal von all dem abgesehen, mochte Bosch den Polizeichef vor allem aus persönlichen Gründen, denn er hatte ihm zwei Jahre zuvor seinen Job zurückgegeben. Bosch hatte sich pensionieren lassen und war Privatermittler geworden. Es hatte allerdings nicht lang gedauert, bis er merkte, dass das ein Fehler war, und der neue Polizeichef hatte ihn anstandslos wieder in den Polizeidienst übernommen. Das hatte ihm Boschs Loyalität eingetragen, und es war mit ein Grund, weshalb Bosch das Treffen im Donut Hole herbeiführte.
Der Polizeichef nahm ihm gegenüber Platz.
»Sie haben Glück, Detective. An den meisten Tagen wäre ich schon eine Stunde früher hergekommen und längst wieder weg. Aber ich hatte gestern noch in drei verschiedenen Teilen der Stadt bis spät in die Nacht hinein Crime-Watch-Besprechungen.«
Statt seine Doughnut-Tüte zu öffnen und hineinzufassen, riss sie der Chief in der Mitte auf, sodass er sie aufklappen und seine zwei Doughnuts auf ihr essen konnte. Er hatte einen mit Puderzucker und einen mit Schokoglasur.
»Das ist der gefährlichste Killer, den wir je hatten«, sagte er, als er den Schokodoughnut nahm und davon abbiss.
Bosch nickte.
»Wahrscheinlich haben Sie recht.«
Bosch lächelte verlegen und versuchte es mit einem Eisbrecher. Seine ehemalige Partnerin Kiz Rider hatte gerade wieder den Dienst angetreten, nachdem sie sich von ihren schweren Schussverletzungen erholt hatte. Sie war von der Robbery-Homicide Division in das Büro des Polizeichefs versetzt worden, wo sie auch zuvor schon gearbeitet hatte.
»Wie geht es meiner alten Partnerin, Chief?«
»Kiz? Kiz geht es gut. Sie leistet hervorragende Arbeit für mich, und ich finde, sie ist genau am richtigen Platz.«
Bosch nickte wieder. Er machte das ziemlich häufig.
»Sind Sie am richtigen Platz, Detective?«
Bosch sah den Chief an und fragte sich, ob dieser vielleicht bereits sein Überspringen der Befehlskette kritisierte. Bevor er sich eine Antwort zurechtlegen konnte, stellte der Polizeichef eine weitere Frage.
»Sind Sie wegen des Falls vom Mulholland-Aussichtspunkt hier?«
Bosch nickte. Er nahm an, dass von Lieutenant Gandle einiges über den Fall nach oben weitergeleitet worden war und der Chief ausführlich darüber unterrichtet war.
»Ich mache jeden Morgen eine Stunde Krafttraining, damit ich diese Dinger da essen kann«, sagte der Chief. »Die nächtlichen Berichte werden mir gefaxt, und ich lese sie auf dem Liegerad. Ich weiß, dass Sie den Fall zugeteilt bekommen haben und das FBI sich dafür interessiert. Captain Hadley hat mich heute Morgen ebenfalls schon angerufen. Er sagt, es gibt eine
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