Kalter Weihrauch - Roman
»Ausgezeichnet! Dann können wir uns ja alle wieder an die Arbeit machen!«
Pestallozzi konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Von welcher Arbeit sprach der Präsident da? Wollte er vielleicht gar sein warmes Büro verlassen und durch den Schnee stapfen und mürrische Einheimische befragen? Oder lieber auf der kalten Gerichtsmedizin Lisa über die Schulter schauen? Aber er durfte nicht ungerecht sein, Grabner hatte ihn heute wieder einmal zwischen allen Klippen hindurchgelotst und einen Eklat mit diesem aalglatten Woratschek vermieden.
Sie erhoben sich alle drei, Woratschek blieb noch stehen, um Smalltalk zu pflegen. Pestallozzi verneigte sich knapp und verließ das Büro. Draußen auf dem Gang wäre er beinahe in Lisa Kleinschmidt gelaufen. »Hoppla, ja da schau her! Was machst denn du bei uns?«
Lisa sah drein wie ertappt, dann mussten sie beide lachen.
»Ich wollte einfach nur nachfragen, ob es irgendetwas Neues gibt. Ich war nämlich gerade im Haus, die Cordula besuchen. Ich habe auch schon mit dem Leo gesprochen.«
»Und hat er sich über meinen Wintermantel beschwert?«
Sie kicherte wie ein Schulmädchen, dann wurde sie wieder ernst. »Der Leo hat mir auch gesagt, dass du gerade in einer Besprechung mit diesem Woratschek bist. Und wie ist die gelaufen? Der soll ja ein echter Schleimer sein.« Diplomatisches Formulieren gehörte ganz eindeutig nicht zu ihren Talenten.
Er zuckte mit den Achseln. »Hätte schlimmer sein können. Wir wissen jetzt jedenfalls, nach wem wir fahnden müssen. Nach einem 45- bis 60-jährigen ehemaligen Internatszögling, der ein schweres Trauma aus seiner Kindheit mit sich herumschleppt. Und ortskundig ist!«
»Pfffhhhh … du Ärmster! Wie hast du das nur ausgehalten?«
Ihr Mitgefühl tat ihm gut. Lisa verstand ihn und würde bestimmt …
Woratschek verließ Grabners Büro. Er ging an ihnen vorbei mit einem maliziösen Lächeln, vor Lisa deutete er eine millimetertiefe Verbeugung an. Dann verschwand er im Kammerl vom Tobias Quendler, wo ihm der Grabner für die Dauer seines Aufenthaltes einen Schreibtisch hatte reinquetschen lassen, ein eleganter kleiner Verweis auf den Platz, der dem Woratschek in seinen Augen zustand.
Sie wandten sich wieder einander zu, beide grinsten.
»Und wie geht’s immer so?«, fragte Pestallozzi.
Lisas Lächeln wurde schief. »Soso lala. Dieser Fall geht mir echt an die Nieren. Na ja, unsere beiden letzten Fälle, mein ich. Die Suse Kajewski und diese Agota. Ich hab schon mit der Cordula gesprochen, du weißt schon, die von der Kinderpornografie, weil ich einfach mehr über dieses Milieu wissen wollte, in dem sich die Agota wahrscheinlich bewegt hat. Und über Transsexualität. Und die hat mir ein paar Links gesagt, unter denen man sich informieren kann. Wenn du da immer weiterklickst, dann kommst du auf Seiten …« Sie starrte auf ihre Schuhspitzen. »Ich sage dir, wir wissen gar nicht, was es alles gibt, Artur. Was man Kindern alles antut. In Thailand zum Beispiel gibt es eine Praktik, da wird …« Sie biss sich auf die Lippen. »Ach was soll das. Warum soll ich dir von diesem ganzen Scheißdreck erzählen. Aber ich bekomme es einfach nicht aus meinem Kopf. Wir ersticken hier im Weihnachtskitsch, ich dreh bald durch, wenn ich mir noch lang diese ganzen Plastikrehlein und den Kunstschnee und die Weihnachtsmänner mit den ausgelatschten Turnschuhen anschauen muss, und dann gibt es da gleich daneben diese Parallelwelten, von denen wir überhaupt nichts wissen. Weil wir alle froh sind, wenn wir …« Sie verstummte. Woratschek und der junge Quendler gingen vorbei, Woratschek dozierte ganz offenkundig über ein wichtiges Thema, der junge Quendler hing an seinen Lippen und nickte eifrig. Beim Aufzug blieben sie stehen, Woratschek sprach so laut, dass sie es einfach mitbekommen mussten.
»… überholte Methoden, mit denen man vielleicht bei der Fahndung nach einem Hühnerdieb Erfolg hat. Aber wir sind im 21. Jahrhundert angelangt, da …«
Endlich kam der Aufzug, und das Duo schwebte davon, höchstwahrscheinlich in Richtung Cafeteria. Sie blickten ihnen schweigend nach, jeder Kommentar wäre reine Zeitverschwendung gewesen.
»Tja, ich muss dann sowieso«, sagte Lisa und griff nach der schweren Aktentasche, die sie während ihres Gesprächs auf dem Boden abgestellt hatte. »Und bitte entschuldige, Artur, dass ich dich so vollgelabert habe. Kommt nicht mehr vor! Beim nächsten Mal bin ich wieder lustig, versprochen!«
Aus irgendeinem
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